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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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retten können. Dazu mußt du lernen, das Leben mit den Augen eines Vogels, eines Menschenwesens und einer Schlange zu sehen. Das ist sehr schwer.
    Das Schlimmste daran ist, wenn du erst einmal deine Flügel ausgebreitet hast, wirst du sie nie mehr anlegen können genau wie die Eule.«
    »Ist das so schlimm?«
    Vogelmann lächelte traurig, senkte den Kopf und starrte auf Flechtes nackte Zehen, die unter den Decken hervorlugten. Mondlicht fiel durch das Fenster über ihrem Bett. .Manchmal, Flechte, sehnt sich eine Eule von ganzem Herzen danach, eine Schlange zu sein, denn dann könnte sie in ein Loch kriechen und sich im Dunkeln verstecken.«
    »Muß ich sofort fliegen lernen?«
    ,Nein.« Er schüttelte leicht den Kopf. ,Aber bald. Du wirst wissen, wann es soweit ist.«
    Nach diesen Worten hatte sich der Vogelmann erhoben, die Flügel ausgebreitet und sich aus ihrem Fenster in den sternenübersäten Nachthimmel hinaufgeschwungen, war höher und höher gestiegen, bis er in der unendlichen Weite verschwand.
    Flechte verstand noch immer nicht genau, was er ihr hatte sagen wollen, aber sie hatte kein einziges seiner Worte vergessen. Ihre Mutter erklärte ihr damals, Geister sprächen oft in Rätseln, aber eines Tages, wenn Flechte älter sei, würde sie die Botschaft des Vogelmannes sicher verstehen.
    Fliegenfänger schloß zu ihr auf und riß sie, als er ungeschickt voller Schwung in sie hineinrannte, aus ihren Erinnerungen. Sie musterte ihn von oben bis unten. Er schien erneut gestürzt zu sein. Der Regen hatte die blutigen Schrammen auf seinen Ellenbogen und den schmalen, klaffenden Riß, der sich im Zickzack über seinen rechten Arm zog, bereits ausgewaschen.
    »Hast du dich verletzt?« fragte sie, nahm seinen Arm und betrachtete prüfend die Wunde. Beruhigt sah sie, daß das Blut bereits geronnen war, und lockerte ihren Griff.
    »Du hast zu lange Beine«, bemerkte er, ohne auf ihre Frage einzugehen. ,Außerdem wäre es mir lieber, du würdest dich wie ein Mädchen benehmen.«
    Flechte legte den Kopf schief. »Wie benimmt sich denn ein Mädchen?«
    »Woher soll ich das wissen?« Fliegenfänger war immer gereizt, wenn er sich fürchtete.
    Gleichmütig zuckte Flechte die Achseln, nahm ihn bei der Hand und führte ihn ohne die geringste Unsicherheit zu dem Eichenwäldchen unterhalb der Felsspitze. Der Weg gabelte sich. Ein Pfad führte auf die Klippe hinauf und über den Überhang, der andere schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch auf ein Felsgesims. Darunter hatte sich Wanderer häuslich niedergelassen.
    Inzwischen hatte sich der angenehm sanfte Regenschleier zu einer undurchdringlichen Wasserwand verdichtet; sie konnten fast nichts mehr sehen. Vorsichtig tasteten sie sich weiter über den glitschigen Kalkstein und bahnten sich mühsam den Weg durch das Eichendickicht.
    Endlich duckte sich Flechte unter den Ästen hindurch und rief: »Wanderer! Bist du da? Ich bin es, Flechte. Ich habe Fliegenfänger mitgebracht.«
    Wanderer hatte sich für seine Behausung eine trockene Aushöhlung unter dem Felsüberhang ausgesucht. Die beiden offenen Seiten hatte er mit senkrecht aufgestellten Baumstämmen geschützt, auf die er eine dicke Lehmschicht aufgetragen hatte, so daß die Behausung fast völlig mit den Felsen verschmolz. Trotz der winzigen Türöffnung und des Fensters auf der Vorderseite war kaum zu erkennen, daß hier ein Mensch wohnte. Flechte zwängte sich zwischen den Zweigen hindurch, und ihr prüfender Blick schweifte über das Wildkirschengestrüpp am Rand des Gesimses. Rasch trottete sie zu Wanderers einladend trockener Wohnstatt hinüber. Fliegenfänger blieb ihr dicht auf den Fersen.
    »Wo ist er?« flüsterte Fliegenfänger. »Ist er da?«
    »Ich glaube, nicht.« Flechte spähte durch den niedrigen Eingang. In Wanderers Behausung roch es immer sonderbar. Stets hing der Geruch nach Zedernrauch, fetter Erde und Geistertränken in der Luft.
    Der kleine, ein unregelmäßiges Rechteck bildende Raum maß nur zwanzig auf ungefähr fünfzehn Hand. Die Wände, mit weißem Lehm gekalkt, schienen selbst im Dämmerlicht dieses wolkenverhangenen Tages zu leuchten. Sie waren mit Symbolen der Mächte bemalt: grünen Quadraten und roten Spiralen, schwarzen Halbmonden und purpurroten Sternenregen. Die Kaninchenfelldecken des alten Mannes lagen unordentlich gestapelt in einer Ecke. An der dunklen Rückwand blitzten in einer langen Reihe leuchtend bunte Körbe auf. Darin verwahrte Wanderer Hustengraswurzeln, getrocknete

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