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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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entsetzlich.
    Langsam öffnete sie die Augen und blinzelte in die grünlich diffusen Streifen von Vater Sonnes Strahlen, die durch die Spalten der runden Kuppel ihrer Hütte fielen. Das aus Ästen errichtete Gerüst, in dessen Gitterwerk sie zum Schutz gegen die Elemente trockenes Heu geflochten hatte, war eine mühselige Arbeit gewesen. Die Behausung maß zwölf Hand im Durchmesser. Am Fußende ihres Bettes waren die Konturen ihres bunten Machtbündels und des Wasserkrugs erkennbar. Darüber stachen ein paar Heubüschel aus der Wand hervor; der nächste Windstoß würde sie herausreißen.
    Wie lange war sie schon hier? Sechs Tage? In Gedanken zählte sie rasch die Sonnenauf- und Sonnenuntergänge, die sie in dieser Hütte erlebt hatte. Ja, sechs. Eine heilige Zahl. Inzwischen müßte Binse die Reise über den Dunklen Fluß der Unterwelt hinter sich gebracht haben und im Land der Ahnen angelangt sein.
    Der Kummer schien ihre Brust wie mit Adlerklauen zu umklammern und alles Leben aus ihr herauszupressen. Warum hatte sie nicht das Gefühl, genesen zu sein? Sie litt noch schlimmer als zuvor. Ihre Seele schrie auf, als habe sie der scharfe Schnitt eines Obsidianmessers durchtrennt. Der schmerzerfüllte Laut drang tiefer und tiefer in die verborgensten Winkel ihrer Erinnerungen an Binse und suchte Trost in seiner zärtlichen Stimme, seinem humorvollen Lachen, seinem freudigen Lächeln.
    Der Aufschrei ging in schwaches Wimmern über, bis ihr Körper sich über ihre Seele hinwegsetzte und aufzuwachen versuchte.
    Jeden Morgen, wenn sie noch im Halbschlaf lag, würde sie wieder die Wärme seines Körpers spüren, seinem Herzschlag im Einklang mit dem Rhythmus ihres Herzens lauschen wie an den unendlich vielen Morgen in den vergangenen zehn Zyklen. Schlaftrunken läge sie da, genösse seine Gegenwart, die Weichheit ihres Bettes, die Lieder der auf dem spitzen Dach des Tempels sitzenden Vögel, den süßen Duft der die Wände tragenden alten Holzpfähle. Sie würde die Hand nach ihm ausstrecken. Und plötzlich erwachen, verwirrt, weil er nicht da wäre. Für den winzigen Bruchteil eines Augenblicks würde sie glauben, er sei hinausgegangen, um Fische zum Frühstück zu fangen.
    Doch blitzschnell würde die furchtbare Erkenntnis zurückkehren, und sie müßte sich aufs neue damit abfinden, daß sein Körper zehn Fuß tief unter der Erde eines Grabhügels am Rande des Dorfes lag.
    Krampfhaft hielt Nachtschatten die Augen geschlossen und zwang sich, nicht daran zu denken.
    Hin und wieder trug der Wind Geräusche aus River Mounds herbei, und sie bildete sich ein, die über die Klippe fegenden Böen würden Schreie zu ihr heraufschicken. Doch wer sollte schreien? Es konnte sich nur um das Lied einer Flöte oder das Kreischen spielender Kinder handeln.
    Trotzdem versuchte sie, ihre Seele zu zwingen, sich auf die Geräusche zu konzentrieren und ihren exakten Ursprung festzustellen. Doch seit Binses Tod hatten sich die in ihr wohnenden Mächte in die Dunkelheit der Verzweiflung zurückgezogen. Außer ihrem eigenen Schmerz fühlte sie nichts mehr.
    Erinnerungen flackerten auf, ungebeten und quälend.
    Sie war vierzehn Sommer alt, als sie, kurz nach ihrer Verbannung aus Cahokia, Binse begegnete.
    Binse war ihr zwiespältiger Ruf gleichgültig gewesen; auch ihre Gabe, in den Quell der Ahnen eintauchen und die Schichten der Illusion durchschwimmen zu können, die die Erste Frau zum Schutz ihrer Baumhöhle gewebt hatte, kümmerte ihn nicht. Nur sie, Nachtschatten, war für ihn wichtig gewesen.
    Wieder und wieder hatte sie darüber nachgegrübelt und zu verstehen versucht, warum sie seinen Tod nicht vorausgesehen und warum Schlammkopf sie im Stich gelassen hatte. Sie hatte sogar den Versuch unternommen, in den Großen Quell zu tauchen, um ihm diese Frage von Angesicht zu Angesicht zu stellen; doch es war ihr nicht gelungen, das Tor zu öffnen. Die Erste Frau hatte ihr den Zutritt verwehrt, und sie wußte nicht, warum. In den letzten fünf Zyklen war es ihr immer schwerer gefallen, Einlaß zu bekommen. Was hatte sie getan? Womit hatte sie diese Strafe verdient? In einem Traum sagte Schlammkopf zu ihr: »Die Menschenwesen haben die Welt aus dem Gleichgewicht gebracht.
    Nichts wird mehr so sein, wie es war.« Damals hatte sie nicht verstanden, was er meinte. Binse …
    Vielleicht konnte sie jetzt verstehen. Sechs Tage waren vergangen.
    Sie stützte sich auf die Ellenbogen und richtete sich auf. Ihre Muskeln brannten, als habe der Kummer sie

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