Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss
Hagelwolke hatte nur einen einzigen Mann verloren. Aber würde noch jemand aus seiner Truppe am Leben sein, wenn all dies vorüber war?
Hagelwolke schritt um die Toten herum und schloß sich Linde an. Das dunkle, lederne Gesicht des alten Kriegers war von einer mit Blutflecken durchsetzten Staubschicht überzogen. Linde hatte einen gnadenlosen Zweikampf mit dem Anführer der Krieger aus Cahokia hinter sich, der sich, obwohl von fünf Pfeilen gespickt, vor seinem Tod noch zu ihm vorgekämpft hatte.
Heftig schnaufend fuhr sich Linde mit dem Handrücken über den Mund. »Das waren keine grünen Jungs. Dachsschwanz hat seine besten Krieger in den Kampf geschickt.«
»Das ist seine Art. Immer vernünftig, immer berechnend.« Hagelwolke deutete mit dem Kinn nach Westen. »Diese Männer kamen vom Pumpkin Creek herauf.«
»Ja. Glaubst du, da unten halten sich noch mehr Krieger auf?«
»Möglich«, antwortete Hagelwolke. Angst zuckte durch seine Gedärme wie ein brennender Pfeil.
Er kniff die Augen zusammen und betrachtete das von schrägen Felsplatten fast verborgene Wäldchen mit den blühenden Hartriegelsträuchern. In der vergangenen Nacht, nachdem sie Zeuge der Zerstörung des Dorfes geworden waren, hatten sie dort das kaum sichtbare Glimmen eines Feuers gesehen. Im Morgengrauen hatten sie dann die fünf feindlichen Krieger entdeckt.
»Wie viele? Hast du eine Ahnung?« fragte Linde.
»Ich weiß es nicht.« Hagelwolke runzelte die Stirn.
»Was hast du?«
»Wir haben … wie viele gezählt? Irre ich mich, oder waren es nördlich dieser Klippe sechs verschiedene Gruppen?«
»Ja, sechs. Eine für jedes der größeren Dörfer.«
»Warum verschwendet Dachsschwanz Zeit und Krieger auf Redweed Village? Da gibt es nichts von Bedeutung. Ein paar alte Männer und einige Frauen und Kinder. Welch eine Gefahr sollte von ihnen ausgehen?«
Hinter Hagelwolke erhob sich Gelächter. Seine Männer und Frauen durchsuchten die toten Feinde und stahlen alles von Wert.
»Glaubst du, es handelt sich um ein Täuschungsmanöver? Eine List, um uns abzulenken von … ja, wovon?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
Hagelwolkes Gedärme zogen sich zusammen. Im Norden bewegten sich schwarze, in der von den heißen Felsen aufsteigenden, hitzeflimmernden Luft nur schemenhaft erkennbare Punkte in einer langen Kette über das Land. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um Flüchtlinge, die dem vom Krieg zerrissenen Land den Rücken kehren wollten. Aber so viele!
»Siehst du sie?« flüsterte Linde fast unhörbar.
JU a.
»Heilige Ahnen. Ob sich noch ein Mensch im Häuptlingtum aufhält, wenn das vorbei ist?«
»Alles ist besser als das, was wir hinter uns haben.«
»Da will ich nicht widersprechen«, sagte Linde. , Auf jeden Fall gibt es für unsere Leute mehr Ackerland, wenn die Zahl der Flüchtlinge weiter so ansteigt.«
Hagelwolkes Blick wanderte wieder zu dem blühenden Hartriegelwäldchen, in dem sie in der vergangenen Nacht das glimmende Feuer entdeckt hatten. Er richtete sich auf. »Glaubst du, er ist da unten, Linde?«
»Dachsschwanz? Könnte sein. Es gibt nur eine Möglichkeit, das festzustellen.«
KAPITEL 28
Primel kniete neben Grüne Esches Kopf und fächelte ihr mit einem aus Binsen geflochtenen Fächer Luft zu. Seine Schwester lag nackt auf dem Boden, die rot und gelb gemusterte Decke war getränkt von ihrem Blut. Sie preßte die Lippen aufeinander; trotzdem entrang sich ihr ein gequältes Stöhnen. In den letzten zwei Hand Zeit hatte sie sich immer wieder schwach hin und her geworfen.
In der Nacht hatte sie ihre Hände in Primels braunes Hemd verkrallt und ihr Stöhnen noch unterdrücken können, aber nun gruben sich ihre Nägel in den Stoff seines Ärmels und zerrissen ihn.
Primel krümmte sich innerlich beim Anblick ihrer Qual. Wie sollte Grüne Esche das aushalten? Er wäre lieber gestorben, als Zeuge ihrer Leiden zu sein. Ein paar Strahlen der Spätnachmittagssonne fielen an den Seiten der herabgelassenen Fenstervorhänge hindurch und warfen goldene Streifen auf das schmerzverzerrte Gesicht seiner Schwester.
»Es ist alles gut«, beruhigte er sie. »Du mußt nur weiter pressen. Das Baby kommt … es kommt …«
Die halbe Nacht hatte Primel so zu ihr gesprochen und sie mit seiner Stimme zu beschwichtigen versucht. Sobald er mit seiner Litanei aufhörte, jammerte Grüne Esche: »Bitte! Rede weiter!«
Zu beiden Seiten von Grüne Esche saß eine geburtskundige Frau, eine dritte kauerte zu ihren Füßen.
Primel leckte
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