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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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zu einem Knoten gebunden, den er mit einer Nadel aus Kaninchenknochen zusammenhielt. Die Fransen seiner braunen Ärmel flatterten in der Brise, als er, wie um sich selbst zu schützen, die Arme vor der Brust verschränkte.
    Die Rauchwolken in der Ferne zauberten einen Hoffnungsschimmer in die ausgezehrten Gesichter.
    Die alte Winterbeere war bereits so mager, daß sie an ein Skelett erinnerte. Der Winter war ungewöhnlich streng gewesen. Das bißchen Vorrat an Mais, Sonnenblumensamen und getrocknetem Kürbis, das sie im letzten Herbst hatten zurücklegen können, war schnell aufgebraucht. Seit drei Monden herrschte in Cahokia Hungersnot.
    Nur Dachsschwanz' Überfälle auf die Dörfer und das gewaltsame Eintreiben des Tributs hatten die völlige Katastrophe bisher abgewendet.
    Aber wie lange noch?
    Zärtlich legte Grüne Esche eine Hand auf ihren dicken Bauch und betete lautlos zur Ersten Frau. Mein Baby braucht Essen. Schick uns Regen, Erste Frau.
    Eine leise Stimme stieg aus den tiefsten Regionen ihrer Seele empor. Lauschend schloß sie die Augen.
    Das Baby sprach oft zu ihr. Hin und wieder glaubte sie wie eben in diesem Augenblick, ein paar Worte festhalten zu können: Petaga kommt … südwärts … nach Süden müssen wir gehen … zum Ende des wehenden Schnees …
    Angstschauder zuckten durch ihren Magen. Petaga? Der Sohn des Häuptlings Großer Mond?
    Häuptling Großer Mond. Armer Jenos. Wie sollte er jetzt seine eigenen Leute ernähren?
    »Nun«, meinte Primel und atmete tief aus, »mir gefällt das zwar nicht, trotzdem werde ich mich morgen früh gleich anstellen und auf unsere Ration Mais warten.« Er bückte sich zum Fischnetz, prüfte die Spannung und sah nach, ob er irgendeinen Fisch in dem todbringenden Geflecht entdecken konnte. Beim Anheben des Netzes kräuselten silbrig aneinanderstoßende Ringe das Wasser.
    »Ich auch«, pflichtete ihm Nessel bei und packte hilfreich mit an.
    Auch Grüne Esche wollte helfen. Doch ihr Bauch war so dick, daß sie ihre Zehen nicht mehr sah. Nur mit Mühe konnte sie sich neben Nessel niederknien. Bei ihrem Volk war es Brauch, eine Frau erst dann einem Mann zu geben, wenn sie durch eine Schwangerschaft ihren Wert unter Beweis gestellt hatte - es sei denn, bei der zukünftigen Ehefrau handelte es sich um einen Berdachen wie Primel.
    Unbeholfen ergriff sie das Netz und half beim Einholen. Primel war schon immer ein wenig sonderbar gewesen. Er hatte häufig Geisterträume und war viel zu freundlich für diese rauhe Welt. Eine ihrer frühesten Erinnerungen an Primel war, wie er auf der Erde kauerte und seinen Kopf vor den Schlägen der Dorfkinder schützte. Grüne Esche wurde zu seiner Beschützerin. Mehr als einmal war sie in Schwierigkeiten geraten, wenn sie mit ihren Fäusten Primels Peiniger zu vertreiben versuchte.
    »Ich spüre nicht die geringste Bewegung im Netz«, sagte sie besorgt zu Primel.
    »Holen wir es ganz ein, dann werden wir sehen.«
    Hand über Hand zogen sie das Netz aus dem Wasser, bis das geknüpfte Geflecht auf dem sandigen Ufer lag. Es war wieder einmal leer.
    »Mutter Erde haßt uns. Sie rächt sich an uns für die Art und Weise, wie wir mit ihr umgegangen sind«, brummte die alte Winterbeere. »Wir müssen einen mächtigen Schamanen aus den kleinen Dörfern kommen lassen. Vergessen wir die Sternengeborenen, diese Elite der Priester und Priesterinnen …
    Sonst drohen uns Hunger und Krieg.«
    Nessel warf einen ängstlichen Seitenblick auf Winterbeere und wandte die Augen rasch wieder ab, und Primel malte mit den Händen magische Zeichen in die Luft, die das drohende Unheil abwenden sollten.
    Grüne Esches Blick schweifte über die öden Hügel, in die der Regen tiefe Einschnitte gegraben hatte.
    An den Hängen standen keine Bäume mehr, die die Erosion hätten verhindern können. Das Wasser war in Sturzbächen die Hänge herabgeströmt und hatte Erde und Feldfrüchte mit sich gerissen. Schon seit vielen Zyklen mußten die Einwohner von Cahokia Hickoryöl, Zuckerahornsaft, Lindensaft und die heiligen Roten Zedern beim Seen-Volk im Norden eintauschen von den Häuten aller Art gar nicht erst zu reden, denn nach dem Abholzen der Bäume dauerte es nicht lange, bis auch die Tiere verschwanden. Die Wapitis waren schon so lange fort, daß Kinder unter fünfzehn Sommern nicht einmal mehr wußten, wie sie aussahen.
    Grüne Esche wechselte einen trostreichen Blick mit Primel, dann suchten ihre Augen erneut die Rauchspiralen in der Ferne.

KAPITEL 5
    Flechte

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