Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss
Fliegenfänger kletterte hinter zwei anderen Jungen ein Stück über ihr. Unter ihren Sandalen lösten sich Sand und Kies, prasselten kaskadenartig herunter und hagelten auf Flechte herab.
Fünfzig Hand unter ihr an den Ufern des Pumpkin Creek liefen lachende Menschen über den großen, von fünfzehn Häusern mit struppigen Strohdächern eingerahmten rechteckigen Platz. Die Leute bereiteten sich auf die Zeremonie des Wegs zur Schönheit vor, die bei Einbruch der Dunkelheit begann. Wasserschildkröten ohne Panzer und abgeschuppte, bläulich schimmernde Süßwassersonnenfische lagen auf Trockengestellen. Ihr köstliches Fleisch dörrte in der hellen Nachmittagssonne. Von hier oben sah man die auf Pfählen errichteten Vorratshütten am Rande des Dorfes. Ein Waschbär versuchte vergeblich, die Pfähle einer Hütte in der Nähe der Bachbiegung hinaufzuklettern und an den Maisvorrat heranzukommen.
»Beeil dich, Flechte!« rief Fliegenfänger von oben und winkte ungeduldig. Sein schulterlanges Haar glänzte schweißnaß.
Schleiereule, der größte Junge des Dorfes und niederträchtiger als ein Nerz in der Paarungszeit, stemmte die Fäuste in die Hüften und feixte höhnisch zu Flechte herunter. Seine in früher Kindheit gebrochene Nase erinnerte an die scharfen, zickzackförmigen Konturen eines Blitzes. Er hatte kleine dunkle Augen, und sein Mund sah aus wie das Maul eines Katzenfisches. Sein häßliches Kindergesicht saß über Schultern, die so breit waren wie die eines Mannes - dabei zählte er kaum elf Sommer. Flechte fürchtete sich halb zu Tode vor ihm. »Komm schon, Mädchen!« brüllte er. Dann wandte er sich an seine Gefährten und meinte geringschätzig: »Lassen wir sie in Ruhe. Sie schafft es nicht.«
»Ich komme!« schrie Flechte, als sie die Jungen in einer Staubwolke verschwinden sah.
»Fliegenfänger! Warte! Ich komme!«
Sie schob ihr Knie auf ein Felsgesims, klammerte sich mit den Fingern in eine darüberliegende Spalte und zog sich kraftvoll hoch. Der bröckelige Stein gab nach, ihre Hand fand keinen Halt, sie rutschte weg und fiel. Hart schlug sie ein Stück tiefer auf einer Kante auf. Verzweifelt krallte sie sich in den Fels. Es gelang ihr, die Daumen in Felsrisse einzuhaken. Blut tropfte warm von ihrem zerschrammten Knie. Sie biß sich auf die Lippe, einen Schmerzensschrei unterdrückend, und versuchte den Aufstieg erneut. Endlich oben angelangt, zog sie sich über die Kante der letzten Felsplatte.
Flechte rollte sich herum und rang keuchend nach Luft. Sandkörner pieksten in ihren nackten, schweißnassen Rücken. Seufzend betrachtete sie die Wolken, die in langen Bändern am türkisblauen Himmel Richtung Südwesten zu den größeren Orten an den Ufern des Vaters der Wasser zogen.
Als Schleiereules johlendes Gelächter ertönte, drehte sie sich neugierig auf den Bauch. Sie sah die drei Jungen Schulter an Schulter hinter einem hoch aufragenden Findling kauern. Sie schienen etwas zu beobachten und sich blendend zu amüsieren. Flechte wollte wissen, was es da zu sehen gab, stand auf und trabte zu ihnen hinüber. Als ihr klar wurde, worauf sich ihr Interesse konzentrierte, verlangsamte sie ihre Schritte. Von dieser Stelle aus schauten sie genau auf den Umkleideplatz der Maskentänzer hinunter, die bei der nächtlichen Zeremonie die Schönheit der Erde und Pflanzen beschwören würden.
Sie duckte sich und schlich leise wie ein Puma heran. Unten auf dem grasbewachsenen Platz auf der Rückseite des Tempels bemalten sich zwei nackte Frauen gegenseitig die Brüste mit leuchtendem Ocker. Die Spiralen liefen von den Brustwarzen fächerförmig aus und gingen in der Mitte des Brustkorbs in das majestätische Bild des fliegenden Donnervogels über. Seine Schwingen hoben sich in einem abgerundeten Bogen, die Enden der Federn reichten bis an die Ohrläppchen der Tänzerinnen.
In der Legende hieß es, Wolfstöter käme den Tänzern bei der heiligen Bemalungszeremonie zu Hilfe, und deshalb waren alle darauf aus, sie zu beobachten. Aber es brachte Unglück, die Bilder zu sehen, bevor die Tänzer in der Nacht der Zeremonie zu ihrem Auftritt erschienen. Flechte warf einen finsteren Blick auf die Jungen. Heiser flüsterte sie: »Ihr habt wohl alle das Gehirn eines Truthahns!
Wollt ihr die Zeremonie gefährden? Ihr wißt genau, daß niemand die Tänzer sehen darf, bevor sie heute abend aus dem Tempel kommen. Das bringt Pech. Schreckliche Dinge können geschehen!«
Fliegenfänger zuckte beschämt zusammen und
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