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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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sich Wanderer niederkauerte. Sie drehte sich nach Fliegenfänger um, aber er lief bereits den Pfad hinunter.
    »Anscheinend will er nicht mit den Felsen reden«, meinte sie.
    »Oh, das wollen die wenigsten Leute«, bemerkte Wanderer. »Muß sich um ein seltsames Vorurteil handeln. Komm hier rüber, Flechte … ich will dir etwas zeigen.«
    Er bückte sich tief, schlängelte sich durch eine breite Felsspalte, die sich höhlenähnlich öffnete, und streckte ihr die Hand entgegen. Flechte ergriff sie und ließ sich von ihm in die Dunkelheit ziehen. Nur ein winziger, schwacher Sonnenstrahl fiel zwischen den senkrechten Platten aus grauem Stein in eine Ecke des Hohlraums. Wanderer schlüpfte in den Lichtschein und hockte sich so hin, daß ihm das Licht mitten auf die Brust fiel.
    »Was jetzt?« fragte Flechte und quetschte sich neben ihn.
    »Alle Felsen haben eine Stimme«, antwortete er. »Aber nicht jeder kann sie hören. Du mußt sehr aufmerksam lauschen.«
    In der Felsspalte roch es muffig nach Packrattenmist. Als sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, erkannte sie unterhalb einer schmalen Kante an der Rückwand ein aus immergrünen Zweigen und schimmernden Schieferstückchen gebautes verlassenes Rattennest.
    Sie blickte sich neugierig um. Die Felsen sahen für sie aus wie ganz gewöhnliche Felsen: grau und massig. »Ich lausche, aber ich höre nichts.«
    »Warte ab.« Wanderer griff hinter eine der Felsplatten und zog einen grauen Strang aus geflochtenem Menschenhaar hervor. Er wickelte den Zopf um den genau über seinem Kopf vorspringenden Fels und flüsterte heiser: »Bist du bereit?«
    »Ja. Ich will mit den Felsen reden.«
    Wanderer begann, den Haarzopf vor und zurück zu ziehen, unentwegt vor und zurück. Ein leises, protestierendes Stöhnen erklang. Er keuchte: »Verstehst du, was sie sagen?«
    Sie konzentrierte sich auf die Laute und versuchte, einzelne Worte zu unterscheiden. »Nein. Was denn?«
    »Sie erzählen die Geschichte von Vater Sonnes erster Paarung mit Mutter Erde. Du mußt wissen, diese Steine sind sehr alt. Sie leben seit unermeßlich vielen Zyklen und können sich noch daran erinnern.
    Flechte neigte den Kopf zur Seite und bemühte sich, Worte zu erfassen, doch sie hörte nur Tone wie bei einem Lied. Steigend und fallend verschmolzen sie zu einer uralten Melodie. »Sie singen vom Anbeginn der Zeit, nicht wahr?«
    »Ja.« Wanderers Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln. »Ich wußte, du verstehst sie. Den meisten Leuten gelingt das nicht. Aber das Loch in deiner Schädeldecke ist noch ein wenig offen.«
    »Was sagen sie jetzt?«
    »Hmm? Oh, sie erzählen die Geschichte von Vogelmann, der gegen seinen Bruder Wolfstöter kämpfte. Es war ein großer Kampf zwischen Licht und Dunkelheit. Dieser Kampf spaltete Mutter Erde und schuf die Öffnung, durch die unser Volk aus der dunklen Unterwelt in diese Welt kam, in der es sowohl Licht als auch Dunkelheit gibt. Wie Licht und Dunkelheit wird alles auf der Welt immer ausgewogen und in Harmonie sein, sofern wir das Gleichgewicht nicht stören.«
    Flechte schob sich näher an den Haarstrang heran. »Wanderer, kannst du die Felsen etwas fragen?«
    »Frag sie selbst.«
    »Na gut.« Flechte zögerte. Sie wußte nicht, welche Worte sie wählen sollte, damit die Felsen sie verstanden. »Ihr vom Felsenvolk«, begann sie, »ich habe etwas von euch vernommen, das wie ein Lied klang, und ich danke euch für euren Gesang. Da ihr über den Anbeginn der Zeit Bescheid wißt, könnt ihr mir vielleicht helfen. Als ich noch ein kleines Mädchen war, kam Vogelmann zu mir und sagte, ich müsse lernen, das Leben mit den Augen eines Vogels, eines Menschenwesens und einer Schlange zu sehen. Wißt ihr, was er meinte? Ich glaube, die Zeit ist gekommen, da ich darüber Bescheid wissen muß.«
    In tiefe Konzentration versunken, bewegte Wanderer den im Dämmerlicht wie ein schimmernder Eiszapfen aussehenden Zopf vor und zurück. Flechte zog die Knie an vorsichtig achtete sie dabei auf das verletzte Bein und schlang die Arme um die Schienbeine.
    »Ah«, sagte Wanderer nachdenklich. »Ich verstehe.«
    »Was?«
    »Die Felsen sagen, du sollst dir auf keinen Fall gegen deinen Willen Vogelmanns Flügel aufzwingen lassen.«
    Blinzelnd schielte Flechte auf ihr Knie hinunter. Die Verletzung schien heiß zu glühen und war zu einer dicken dunklen Beule angeschwollen. ,Aber Vogelmann behauptete, ich müsse fliegen lernen …
    damit ich in die Höhle der Ersten Frau gelange und mit

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