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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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wirklich großartige Tage.«
    »Natürlich erinnere ich mich«, antwortete Sumach. In der bitteren Kälte waren ihr Nase und Ohren rot angelaufen. Die runzligen Lippen über dem zahnlosen Gaumen waren eingefallen, und ihrem kalten Mund schien das Sprechen schwerzufallen. »Gerade deshalb frage ich mich ja, was mit Sonnenjäger los ist.« ' »Was meinst du damit?«
    Eine senkrechte Falte grub sich in Sumachs Stirn. »Sonnenjäger hat es immer gefühlt, wenn irgend etwas nicht in Ordnung war. Erinnerst du dich? Wie oft ist er plötzlich aufgetaucht und hat seine Hilfe angeboten, weil er geträumt hatte, daß jemand im Dorf ihn brauchte.«
    »Ja«, seufzte Melisse. »Ich erinnere mich. Wie damals, als Beerenblatt mit dem Kanu zu weit hinausgefahren war und nicht mehr zurückfand. Sonnenjäger kam hoch oben von den Bergen herunter und sagte uns, daß Beerenblatt ihn in einem Traum zu Hilfe gerufen habe.«
    »Ja, so war es. Sonnenjäger hat sich direkt da vorne auf den Strand gesetzt und die Delphine und Wale herbeigeträumt, so daß er sie bitten konnte, Beerenblatt zu suchen und nach Hause zu fuhren. Erinnerst du dich? Beerenblatt kam am nächsten Nachmittag zurück. Er paddelte mitten in einer Schule schnatternder Delphine.«
    »Seine Frau und seine Kinder waren so glücklich«, bemerkte Melisse lachend.
    Sumach starrte unverwandt auf Mutter Ozean. Im nebligen Mondlicht schimmerte das dunkle Gesicht der Mutter. »Ich frage mich, warum Sonnenjäger nicht davon geträumt hat, daß sich die Mammuts ins Meer gestürzt haben. Kann er nicht mehr träumen? Kommt er deswegen nicht mehr zu den Tänzen?
    Hat er Angst davor?«
    Melisse zog die Mammutdecke dichter unter sein Kinn. »Ich glaube nicht, daß er vor dem Tanz oder vor uns Angst hat. Wie wir alle weiß auch er, daß wir tanzen müssen. Mit dem Tanz beten wir zu Mammut-Oben und bitten um Vergebung für unsere Gier. Wir flehen sie an, nicht länger ihre Kinder von dieser Erde zu nehmen. Wir tanzen, um ihren Zorn zu beschwichtigen, bevor alle Mammuts verschwunden sind. Sonnenjäger würde kommen, wenn er könnte. Wahrscheinlich hat er gefühlt, daß etwas nicht in Ordnung ist. Aber er muß in den Bergdörfern heilen. Das ist alles.«
    Unbewußt glitt sein Blick zum Strand, wo vierunddreißig Mammutskelette die Festvorbereitungen schweigend bewachten. Zwischen den wirbelnden Nebelfetzen tauchten die gebleichten Knochen immer wieder auf.
    Plötzlich gruben sich Sumachs Finger in seine Hand. »Schau!«
    Flötenklänge drangen durch den Nebel, die Töne waren klar und rein wie das Zwitschern der Meisen an einem Frühlingsmorgen.
    Ein lauter Schrei.
    Die Menge verstummte und drehte sich um.
    Am Rand des Waldes stand Bucklige Frau. Langsam, Schritt für Schritte, stampfte sie vorwärts, der Rüssel an ihrer Maske baumelte hin und her, und sie grunzte tief und keuchend wie ein Mammut. In der Menge öffnete sich eine Schneise für sie. Sie senkte den Kopf zu den Kindern am Rand der Schneise und sah jedes einen Moment an, bevor sie weiterging. Kichern und ein paar Schreie des Erschreckens waren zu hören. Ein kleines Mädchen schrie auf und versuchte, sich hinter den Beinen seiner Mutter zu verstecken, als Bucklige Frau sich näherte.
    Melisse lächelte. Bucklige Frau trug ein mit weißen Elfenbeinringen geschmücktes Mammutfell über dem Buckel auf ihrem Rücken. Sein Volk glaubte, daß sich in dem Buckel schwarze Regenwolken türmten und alle Arten von Samen darin gesammelt waren - die Samen der Pflanzen, die zuerst auf diesem Land gewachsen waren, als Wolfsträumer das Volk durch den Weltnabel gebracht hatte. Der Tanz von Bucklige Frau ließ Ruhelosigkeit und die Sehnsucht nach Harmonie in der menschlichen Seele wachsen, so wie Regen den Samen wachsen läßt. Sie stampfte in die Mitte des Dorfplatzes, und die klaren Töne der Flöte wurden von dem tiefen, rhythmischen Schlag einer einzigen Kesseltrommel abgelöst. Schließlich setzten Knochenflötenpfeifen, Klappern aus gespaltenem Holz und Rasseln aus Schildkrötenschalen und Hirschhufen ein.
    Melisse stieß ein weißes Atemwölkchen aus. Er beobachtete, wie es im Licht des Feuers schimmerte, bis es mit dem Nebel verschmolz. Bald würden die anderen Tänzer aufstehen und beginnen, die Mammuts in die Welt zurückzusingen. Die nächsten vier Nächte würde sich das gesamte Dorf an dem Tanz beteiligen. Sie würden Alter-Mann-Oben anflehen, das Volk zu führen und ihm zu helfen, der Welt ihre frühere Reinheit zu geben, so daß die

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