Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
Finger erfaßten einen Riemen - eine Bola!
Sie lief weg, den Strand entlang. Dabei tastete sie über die Bola, fand den Knoten, der die Riemen verband. Bei jedem Schritt schlugen die Steingewichte aneinander.
»Sie läuft die Insel hinunter«, brüllte Grizzlyzahn. »Schneidet ihr den Weg ab.«
Das zornige Geschrei der Männer schallte durch die Nacht. Perle rannte wie noch nie in ihrem Leben.
Hinter sich hörte sie ihre Verfolger. Sie gab ihr Letztes. Jetzt oder nie! Sie mußte ausbrechen, dies war ihre letzte Chance.
Sie hörte seinen keuchenden Atem - er war sehr nahe.
Sie wurde langsamer, wirbelte die Bola herum und schleuderte sie auf die Beine des Verfolgers. Sie hörte, wie er ächzend zu Boden ging, und blindlings stürmte sie weiter durch die Regennacht.
Vor langer Zeit hatte ein Sturm die alte Pappel gefällt, die nun am Rand des toten Gewässers lag.
Treibsand hatte sich um den Stumpf gesammelt, und jetzt ragte nur noch ein verwitterter Ast aus dem Sand.
Erst im letzten Augenblick sah Perle das Holz. Sie versuchte ihren Lauf abzubremsen und zum Sprung anzusetzen, aber sie blieb mit einem Fuß an dem Ast hängen und fiel der Länge nach hin.
Der Fall nahm ihr den Atem. Sie keuchte voller Entsetzen und grub ihre Finger in den Sand.
Todesangst erfaßte sie, und sie kroch zum Wasser.
Das Getrampel vieler Füße war zu hören; Männer schrien.
»Hierher!« brüllte einer.
Erschöpft schleppte Perle sich weiter. Leuchtende Sterne, wie tanzende Glühwürmchen, funkelten ihr vor den Augen. Sie faßte mit einer Hand ins Wasser und sprang vorwärts.
Da packte eine Hand ihren Fuß und zog sie zurück.
»Hab sie!« schrie jemand aufgeregt.
Perle keuchte und bekam endlich genügend Luft, um zu weinen.
Harte Hände zerrten sie zurück auf den Sand, und ein schwerer Körper drückte sie zu Boden. Sie verstand nur Wortfetzen »… hat versucht… fliehen?«
Um sie sammelten sich dunkle Gestalten.
Grizzlyzahn beugte sich herunter, seine Halskette klapperte. »Nur gut, daß der Ast da war, was, Frau? Du hast mir fast das Genick gebrochen. Dafür wirst du zahlen!« Er richtete sich auf, und sie sah, daß er humpelte. »Bindet sie! Bringt sie zurück! Von jetzt an bleibt sie gefesselt.«
Perle ließ den Kopf auf den nassen Sand sinken. Der Regen fiel unablässig. Dann riß jemand sie hoch, und sie wurde über eine muskulöse Schulter geworfen.
Otter steuerte das Boot auf dem gewundenen Fluß, und Wellentänzer durchschnitt das ruhige Wasser wie ein Pfeil. Über ihnen verflochten sich die Zweige zu einem Dickicht; Vögel zwitscherten, Eichhörnchen sprangen in den Ästen und brachten die Schlingpflanzen zum Zittern.
Schwarzschädel war angespannt und gereizt; unbehaglich schaute er hin und her, und bei jedem Geräusch aus dem Wald fuhr er zusammen.
Seine Reizbarkeit ist verständlich, dachte Otter. Die sechs Tage Fahrt mit dem Krieger und dem Verdreher hatten auch ihn überempfindlich werden lassen.
Schwarzschädel schien jedoch nicht wegen seiner Verachtung für den Verdreher nervös zu sein. Es mußte einen anderen Grund geben. Schwarzschädel war auf ihrer Reise immer verdrießlicher geworden. In den Nächten hatte Otter oft gesehen, wie er wachlag, und bemerkt, wie er unruhig umherblickte, dann oft aufstand und das Lager leise abging.
Sein Verhalten erinnerte Otter an ein Kind, das sich im Wald verirrt hat. Aber wovor hatte der Krieger Angst?
Otter benutzte sein Paddel als Ruder, um mehreren hölzernen Schwimmern auszuweichen, die eine Leine mit kleineren Angelschnüren markierte. »Wir sind gleich da.«
Schwarzschädel drehte sich um, die Augen zu Schlitzen verengt. »Weshalb machen wir das? Welchen Zweck hat es?«
Grüne Spinne saß rückwärts wie üblich. Er hielt seine Finger ins schlammige Wasser und murmelte:
»Zweck, Zweck, immer muß es einen Zweck haben.«
»Wir machen hier halt. Das ist das Dorf Grüne Schildkröte. Wir wollen von Langes Eichhörnchen Hemden eintauschen. Die Menschen hier stellen einen besonders wertvollen Stoff her. Der Clan verrät nicht, wie sie es machen, wohl aus Seidenpflanzen und der Samenwolle der Schwarzpappel; dann färben sie den Stoff purpurn. Für ein paar Haifischzähne bekommt man ein Hemd.«
»Ein Hemd für Haifischzähne?« Schwarzschädel runzelte die Stirn. »Wozu brauchen wir purpurne Hemden?«
»Wir brauchen eines für Wiesenlerche, den Führer des Braunwasserclans, er liebt purpurne Hemden.
Er glaubt, daß diese Hemden ihm Macht geben. Das
Weitere Kostenlose Bücher