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Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Titel: Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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gehabt hatte.
    Großvaters Arme hatten plötzlich gezittert, und er hatte geächzt wie im Kampf. Die Maske hatte sich gedreht, und die leeren Augenhöhlen waren Glimmervogel wie zwei Pforten in eine andere Welt erschienen.
    Der Eindruck hatte ihn erschüttert; ein prickelnder Schauer, so intensiv und wonnig wie ein Orgasmus, hatte ihn ergriffen und ein Gefühl von Vergeblichkeit und Leere seine Seele erfaßt.
    Seitdem hatte das Geistergesicht jeden seiner Gedanken beherrscht.
    Wer durch die Maske blickt, hatte Großvater gesagt, blickt durch die Augen von Bunte Krähe. An jenem Tag vor langer, langer Zeit habe ich durch die Maske geschaut. Ich habe die Welt nie mehr so gesehen wie damals; sie hat mich geformt, sie hat diesen Clan geformt - alles, was heute existiert.
    Irgend etwas war mit Großvater geschehen, hatte ihn getrieben, die Maske zu nehmen. Zuletzt hatte er sie am Fest der Toten getragen, zur Sommersonnenwende, wenn sich der Clan versammelte, um der Geister der Ahnen zu gedenken, seine Toten zu begraben und die mächtigen Erdwerke zu pflegen.
    Danach war der alte Mann nie mehr derselbe gewesen. Er hatte mit ausdruckslosen Augen ins Leere gestarrt, hilfloser als je. Glimmervogel hatte seine letzten Worte noch im Ohr: Sie hat meine Seele verzehrt, ich hätte sie niemals nehmen dürfen. Sie muß dorthin zurück, wo sie hingehört. Sie ist nicht für Menschen gedacht.
    Am nächsten Tag war der alte Mann verschwunden.
    Glimmervogel mühte sich weiter den Steilhang hinauf, keuchend in der windstillen Luft.
    Warum hatten die Langschädel die Maske nie erwähnt? Sie hatten zweifellos gewußt, daß Großvater sie besaß, aber nie hatte sie jemand verlangt.
    Wieso?
    Der Klapperschlangenclan war gegen die Buntbemalten in den Krieg gezogen, als ihr heiliger Helm mit dem Hirschgeweih geraubt worden war. Drei Jahre lang hatten sich die Clans bekriegt, bis durch Vermittlung des Gänsefußclans und die Rückgabe des Kopfschmucks ein Friede zustande kam.
    Wieso hatten die Langschädel das Verschwinden der Maske mit keinem Wort erwähnt?
    Denk nicht mehr daran! Glimmervogel versuchte, ruhig zu atmen. Hör auf, dich verrückt zu machen.
    Aber vielleicht war er schon verrückt. Die Gier, diese Maske unbedingt zu besitzen, hatte ihn beunruhigt. Mit ihr würde er der nächste Führer des Leuchtvogelclans sein und könnte seinen Clan über alle anderen im Mondmuscheltal erheben, sogar über die Clans im Norden.
    Glimmervogel rang nach Luft. Der Gipfel war jetzt sicher nicht mehr weit.
    Warum war es nur so heiß und schwül? Die feuchte Luft schien ihm alle Kraft zu rauben. Schwankend stolperte er weiter und erkannte durch die Bäume den unregelmäßigen Steinring, der die Bergspitze bezeichnete. Er suchte nach Zeichen, die der alte Mann auf seiner Wanderung möglicherweise hinterlassen hatte. Glimmervogel setzte Schritt vor Schritt über Wurzeln und Ranken, bis er die düstere Böschung erreichte, und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die Anhöhe. Auf seinem eigenen Territorium wäre ein solcher Hügel befestigt, als Schutz vor feindlichen Angriffen.
    Das Krächzen der Krähe wurde lauter.
    Wo war dieser Felsüberhang? Oder hatte der Alte ihm etwas vorgemacht? War es nur eine Erfindung?
    Hatten deshalb die Langschädel die Maske nie erwähnt?
    Glimmervogel fühlte sich plötzlich kraftlos und setzte sich auf einen Felsen. Hatte der Alte den Clan getäuscht? War auch seine Macht nur eine Täuschung? War sein angsteinflößendes Auftreten nur eine List gewesen, um die Leute gefügig zu halten?
    Es gingen Geschichten von Mund zu Mund. Wie ein Rivale tot umgefallen sei, als ihn Großvater durch die Maske angesehen hatte. Könnte das ein Trick gewesen sein? Vielleicht war etwas Wasserschierling in einem Getränk gewesen?
    Glimmervogel sah das durchdringende Glühen in den Augen des alten Mannes vor sich. Nein, das war keine Täuschung gewesen. Das konnte und wollte er nicht glauben.
    Er stand auf und zwang sich weiterzugehen. Er suchte nach dem trockenen Felsüberhang. Die Maske von Bunte Krähe mußte hier irgendwo sein. Der alte Mann hatte immer gehalten, was er versprochen hatte. So hatte er bestimmt die Maske hierher gebracht und sie dem Toten in die verdorrten Hände zurückgelegt.
    Trotz seines scharfen Blicks hätte Glimmervogel den Ort beinahe verfehlt. Zedern hatten ihr Blattwerk wie ein grünes Gewebe über den Eingang der Höhle gelegt und sie verborgen. Nur der merkwürdige Moschusduft in der Luft hatte ihn

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