Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
und reagierte erschrocken. Er löste sich aus der Gruppe und ging beiseite.
Sternmuschel unterdrückte einen Ausruf.
»Das ist nicht gerade die herzliche Begrüßung, die ich erwartet habe«, sagte Langer Mann. »Bei den Ahnen, er kann doch unmöglich wissen…«
»Was wissen?«
Der Zauberer zuckte zusammen und hielt sich die Seite. »Nichts, Mädchen. Träumereien eines müden alten Mannes.«
Sternmuschel blieb stehen und versuchte zu begreifen, warum ihr Vater weggegangen war. Als sie zur Seite schaute, sah sie Höhlengräber eine lebhafte Geste machen. Er zeigte nach rechts zum Grabhügel des Eichhörnchenclans.
»Es muß etwas geschehen sein«, sagte Sternmuschel leise. »Er will nicht mit uns gesehen werden.
Hier lang.« Sie ging quer durch das nasse Gras auf den Hügel zu. Seltsam, mein ganzes Leben habe ich hier verbracht und kann mich nicht erinnern, welcher Älteste hier begraben liegt oder warum er wichtig war. Vielleicht hatte der alte Sterngucker doch nicht so unrecht.
Ein Grabhügel wurde nicht für einfache Angehörige des Clans errichtet, nur hohen Würdenträgern stand dieses Vorrecht zu. Große Muschel, der Stammvater ihrer Familie, ruhte unter dem Hügel am westlichen Zugang zum Achteck. Zur Sommersonnenwende konnte ein Beobachter von der Sternwarte aus die Sonne über dem Grabhügel von Große Muschel aufgehen sehen, er sah sie dann praktisch durch seine Augen.
»Vergiß nicht, daß jeder nach dir Ausschau hält«, mahnte Langer Mann. »Ein Mann, der auf einem hohen Grat wandert, sucht bei einem Gewitter nicht unter einer Eiche Schutz.«
»Weil eine Eiche den Blitz anzieht«, ergänzte Sternmuschel. »Ich muß ihm nur sagen, daß ich lebe und er sich nicht um mich sorgen soll.«
»Das hätte auch ein Bote tun können.« Langer Mann schaute sich nervös um. »Ich werde den Gedanken nicht los, daß es ein Fehler ist.«
»Dann ist es wenigstens mein Fehler.«
»Es liegt mir fern, dich daran zu hindern, Fehler zu machen. Die Ahnen wissen, daß ich selbst viele gemacht habe.« Er blieb stehen, um die Grabhügel wachsam zu mustern.
Warum? Was hatte er von den Geistern in Sternhimmelstadt zu befürchten ?
Höhlengräber war inzwischen aus der Sicht der Ältesten und Ingenieure verschwunden. Er tauchte hinter dem grasbewachsenen Grabhügel auf. Hier waren sie von den anderen abgeschirmt. Eine Weile konnte Sternmuschel nur auf den gehetzten Ausdruck, die verkniffenen Lippen starren. Die Falten waren tiefer geworden, sein Gesicht seltsam ausgemergelt. Bildete sie es sich nur ein, oder waren seine freundlichen Augen eingesunken? Wann war er so gealtert? Der Mann, den sie als gesund und munter und so stark in Erinnerung hatte, stand jetzt wie ein mit Haut bedecktes Knochengerüst vor ihr.
»Vater?«
»Sternmuschel. Meine schöne Kleine.« Ein schwacher Schatten des alten Lächelns spielte um seine Lippen. »Ich… ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
Sie stürzte in seine Arme, drückte ihn an sich. Silberwasser blieb zurück.
»Kleine?« Sternmuschel machte sich los. »Komm her, Silberwasser. Das ist dein Großvater, begrüße ihn.«
Silberwasser schaute Höhlengräber mißtrauisch an. Zögernd kam sie näher.
»Hallo, Silberwasser«, grüßte Höhlengräber und kniete sich vor sie hin. »Du bist genauso schön wie deine Mutter.«
Silberwasser nickte, schien allerdings wenig überzeugt.
»Was ist mit dir geschehen?« Sternmuschel zupfte mit nervösen Fingern an seiner Kleidung. »Du siehst aus, als würdest du nichts essen. Ernährt dich mein Bruder nicht gut? Du bist doch nicht krank gewesen?«
»Nur im Herzen«, antwortete er freundlich und nahm ihre Hände. Doch in seinen Augen sah sie die Qual. Seine Haut war aschfahl und kalt.
»Was ist, Vater?«
»Robin, der Kriegsherr des Blauentenclans, kam hierher. Natürlich, um nach dir zu suchen. Wir standen kurz vor einem Krieg mit den Clans im Mondmuscheltal.« Er drückte sie an sich, klopfte ihr besorgt auf den Rücken. »Die Ahnen mögen mir beistehen, ich war in solcher Sorge um dich. In Angst. Und nachts ist der Geist deiner Mutter nahe. Sie versucht, mir etwas mitzuteilen. Sie scheint zornig, sie jammert, aber ich … ich kann sie einfach nicht verstehen.«
»Mir geht es gut, Vater.« Sie hielt ihn ganz fest. »Du mußt zurückgehen und die Planung des Erdwerks beenden. Ich warte beim Haus. Wir werden…«
»Nein. Das geht nicht.« Er schob sie weg, die Tränen unterdrückend. »Hier ist es zu gefährlich für dich. Ich muß
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