Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen
an das Halbdunkel. Sie trat einen weiteren Schritt vor und bemerkte die schwache Glut in der Feuerstelle. An der Wand gegenüber standen die Bänke, die sie kannte.
Keramikkrüge lagen herum, die meisten in Scherben. Verschüttete Gänsefußsamen knirschten unter ihren Füßen.
Was wäre, wenn er die Maske trug? Was, wenn er sie gegen sie benutzte? Sie war wehrlos.
Sie trat gegen etwas, das mit einem dumpfen Geräusch wegrollte. Sie blickte zum Boden und sog vor Grauen die Luft ein. Ein zerschmetterter Schädel lag auf der Seite wie ein aufgeschlagenes Ei, die leeren Augenhöhlen starrten ins Leere. Überall auf dem Boden gewahrte sie zerbrochene Knochen - gesplittert, als hätte man sie mit einem Hammerstein zertrümmert.
Sein Großvater!
Sie schluchzte auf, aber der Laut blieb ihr in der Kehle stecken. Voller Entsetzen flüsterte sie: »O Glimmervogel! Was hast du getan?« Sie schlich weiter und schaute in den Gang, der zum anderen Abschnitt des Hauses führte.
O ihr seligen Geister, hat das niemals ein Ende? Sie packte den Grabstock fester, im Ohr die schlurfenden Schritte des Zauberers hinter sich.
Das Dunkel lastete auf ihr, erstickte sie fast. Eine finstere Präsenz lauerte da in der Dunkelheit, schwebte bedrohlich über ihr.
Es mußte der Geist des Großvater sein.
Sie trat mit zitternden Knien in den hinteren Raum. Da bewegte sich etwas, etwas, das in der Luft leicht schaukelte.
Ihr Mund war trocken. Mit bebenden Händen hielt sie den Grabstock erhoben, bereit zuzuschlagen.
Flüsternd fragte sie: »Glimmervogel?«
Jetzt sah sie es besser; da baumelte etwas und drehte sich langsam um sich selbst.
Nein! Das war unmöglich!
Der Magier ging vorsichtig um sie herum und hob etwas vom Boden auf. Plötzlich stieß er einen Schrei aus und ließ sofort wieder fallen, was er aufgehoben hatte. Leise murmelnd kämpfte er mit dem Wolfsfell. Sie kannte die Form der Maske.
Sternmuschel stand wie gebannt. Ihre Augen waren auf den Körper ihres Mannes gerichtet, der sich in der Luft drehte.
Dort hing er, nackt, den Kopf sonderbar seitlich verdreht. In dem gedämpften Licht sah sie die geschwollene Zunge, die ihm aus dem Mund hing, seine glasigen Augen, die vor Entsetzen hervorgequollen waren. Jetzt sah sie auch das dicke, am Dachsparren befestigte Seil, an dem er hing.
Die groben Fasern hatten sich tief in das aufgedunsene Nackenfleisch von Glimmervogel eingegraben.
»Ich hab sie«, ächzte der Zauberer. »Sie ist eingepackt! Und was immer du tust, Mädchen, du darfst auf keinen Fall die Maske aus diesem Sack nehmen.«
Sie hörte ihn kaum, der Blick aus diesen glasigen Augen bohrte sich in sie hinein. Glimmervogels Körper kam allmählich zum Stillstand und drehte sich dann langsam in die andere Richtung.
8. KAPITEL
Otter war verwirrt, er verstand überhaupt nichts mehr. Warum waren die Ältesten zu ihm gekommen ?
Was konnte er ihnen geben, was sie nicht auch in der Stadt der Toten finden würden ? Unruhe erfüllte ihn, als er vom Waldweg über die Lichtung in die äußeren Gebiete des Territoriums des Weißmuschelclans lief.
Als er durch den Einlaß der Sommersonnenwende trat, in Sichtweite des Clanhauses, fand er dort eine aufgeregte Menge. Er warf Viertöter einen bedeutsamen Blick zu und ging weiter.
Großmutter schien wieder alles unter Kontrolle zu haben. Sie hatte offenbar den Schrecken überwunden, und ihre Augen hatten wieder den scharfen Blick.
Die vier Clanältesten saßen auf einer langen Bank vor Großmutters Haus in der Sonne. Alle, die auf dem Clangelände lebten, sowie die Bewohner der nächstgelegenen Farmen standen beieinander. Begierig wollten sie alles sehen und hören, voller Ehrfurcht vor so hohen Besuchern. Als Otter und Viertöter näherkamen, machten sie ihnen Platz.
Otter erkannte Schwarzschädel sofort. Die Narben, die kreuz und quer über sein Gesicht verliefen, ließen den eingeschlagenen Backenknochen und den schiefen Kiefer noch stärker hervortreten. Die Augen des Kriegers brannten allerdings mit einer Glut, die Otter selten so gesehen hatte. Der ganze Mann schien zu glimmen; sein furchterregendes Gesicht zuckte. Eine seiner kraftvollen Hände packte den Griff des Atlatls, die andere umklammerte die Kriegskeule. Das Sonnenlicht blitzte auf den eingesetzten kupfernen Spitzen, die so todbringend waren.
Über diesen Mann wurde viel erzählt. Man sagte, er habe seine eigene Mutter getötet, weil seine Familie es so befohlen hatte. Im Kampf mit den Copena hatte er sieben
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