Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
einer Libelle aus zehnmal zehn Schritt den Kopf weg.«
Eulenfalter hob anerkennend die Brauen. »Na dann«, meinte er, »wollen wir mal überlegen, wie wir vorgehen.«
»Aber was ist mit deinem Bein?« fragte Häsling mit Blick auf den dicken Verband. »Kannst du -«
»Ich muss. Nur ich kenne die Wege durch den Wald so weit nördlich.« Eulenfalter massierte sein Bein, wie um sich Mut zu machen, aber er verzog das Gesicht vor Schmerzen. »Also, gehen wir zurück zum Lager, Häsling. Lass dich von Rotalge überreden mitzugehen. Das hat sie schon bei mir geübt.« Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Sie kann sehr überzeugend sein - und sehr charmant.«
»Sehr sogar - für ein kleines Mädchen.«
Eulenfalter seufzte, stand auf, hob sein Gewand und schlug sein Wasser auf das welke Laub ab. »Ich hab's nicht vergessen, mein Freund.«
Häsling erhob sich gleichfalls. »Wirst du auch nicht mehr. Ich werde dich daran erinnern. Oft.«
Schwester Mond sah durch einen milchigen Wolkenschleier auf Kupferkopf hinunter. Ihr Schein wanderte durch seine Hütte, tastete spielerisch nach ihm und schnellte ängstlich wieder zurück. Er saß auf seiner Lagerstatt, ein Stück Sandstein vor sich und die Ahle in der Hand. Ein leichter Windzug bewegte die Stoffsäcke, die an den Dachpfosten hingen; sie knirschten leise.
Er beugte sich vor, um die Ahle weiter zu schärfen, und sein langes schwarzes Haar mit Silbersträhnen fiel ihm über die Brust. Fachkundig zog er die abgebrochene Spitze über den Sandstein hin und her.
Das rhythmische Zischen erschien ihm wie kühler Balsam auf einer brandigen Wunde.
Die Schildpattpuppe von Riedgras saß aufrecht inmitten seiner zerwühlten Decken und sah ihm aufmerksam zu. Ihre verblassten Augen leuchteten im Mondlicht mit unnatürlichem Glanz. Aber schließlich war sie damals zum Schluss dabei gewesen, eingehüllt in den Kragen des Gewandes von Riedgras - sie würde ihn nur zu gut verstehen.
Sehr sanft fragte Kupferkopf: »Warum ist mir das nicht schon früher eingefallen? Hm? Glaubst du, weil der Gedanke mir immer noch Angst einjagt?«
Ein erdbebengleiches Zittern kroch an seiner Wirbelsäule hoch. Kupferkopf hielt den Atem an und wollte es mit seiner Willenskraft unterdrücken. Dann machte er sich wieder daran, die Ahle zu schärfen und zu einer tödlichen Spitze zu schleifen.
Was? Was ist das für ein Unsinn, Kind? Kupferkopf hätte doch nie versucht, die Schildpattpuppe auf der Ahle aufzuspießen. Heilige Geister! Schon der Gedanke macht mich ganz krank. Wer hat dir denn so etwas erzählt?
… Also da möchte ich am liebsten unterbrechen. Mir war gar nicht klar, dass der nie wandernde Stern diese Geschichten kennt.
Ha! Ja, das ist eine gute Beobachtung, Kind. Offenbar kennt sie die Geschichte nicht.
Jedenfalls ist die Idee lächerlich. Warum sollte denn Kupferkopf die Macht der Ahle derart verschwenden?
Das hat sie dir also erzählt?
Großer Wurm! Ja, natürlich war die Schildpattpuppe lebendig, aber warum hätte Kupferkopf die Seelen der Puppe in sich haben wollen? Das ist nicht nur lächerlich, das ist der reine Schwachsinn.
Nein, nein, Liebes, hör zu. Kupferkopf war viel zu schlau, um die Macht der heiligen Ahle für so einen Blödsinn zu missbrauchen. Er hatte viel wichtigere Pläne.
Allerdings fürchterliche Pläne …
Die Winterfeier für die Sonnenmutter war schon nahe, und im Dorf des Stehenden Horns waren alle mit Vorbereitungen beschäftigt. Ein großes Fest sollte stattfinden, mit Tanz von morgens bis abends und rituellen Spielen, bei denen ungeheure Wetten abgeschlossen würden …
Teichläufer war bestürzt, denn schon in der Morgendämmerung hatte der Tag heiß und schweißtreibend angefangen. Seine Sorge um Muschelweiß hatte sich zur Panik gesteigert. Der Schweiß lief ihr über die Wangen, als sie auf dem Hirschpfad hinter ihm ging, und ihr schönes Gesicht war bleich und verzerrt. Dauernd drehte er sich nach ihr um. Die Kopfschmerzen zwangen sie, langsam zu gehen. Unter ihren sorgsam gesetzten Schritten brachen und knirschten heute Muschelschalen und Zweige. Teichläufer vermutete, sie hätte sich normalerweise für solch einen Lärm verflucht, aber an diesem Morgen konnte sie nur ihren Blick fest auf den Boden richten und beten, dass sie den nächsten Baum erreichte, um sich mit der Schulter daran zu lehnen und wieder zu Atem zu kommen. Sie war mit einem ganz leichten Gewand bekleidet, mit einer Yucca-Schnur als Gürtel, und sie sah elend aus. Ein auf
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