Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
der linken Seite verknotetes Stirnband bändigte ihr langes Haar und hielt den Umschlag mit der Sonnentausalbe an seinem Platz.
Um sie herum hatten Eichen, Hickory- und Zürgelbäume ihre Wurzeln tief in den dunklen Waldboden geschlagen. Äste ragten in den klarblauen Himmel hoch, als erflehten sie den Segen von Mutter Sonne. Überall sprossen Fächerpalmen. Teichläufer zuckte zusammen, wenn gezackte Blätter einer Pflanze am Gewand von Muschelweiß zerrten, so dass sie zu stürzen drohte. Sie versuchte, sie beiseite zu stoßen, aber sie hatte nicht die Kraft dazu. Sie drehte sich dann zur Seite und zwängte sich vorbei.
Kein Wind fuhr durch die Blätter. Selbst die Vögel waren wie betäubt von der Hitze und saßen verdrießlich auf den Zweigen, ohne zu singen.
»Ich würde alles geben für eine kühle Brise«, sagte Muschelweiß sanft, »die mir das Brennen im Kopf etwas milderte.«
»Ich weiß. Das Herbstwetter ist so launisch. An einem Tag friert man, am nächsten röstet einen die Sonne.« Teichläufer, dessen langes Gewand über den Boden schleifte, führte sie durch eine Wegebiegung zu einem schattigen Platz. »Hier ist es besser, Muschelweiß. Etwas kühler.«
Eine alte Eiche stand an der Biegung. Muschelweiß lehnte sich an den dicken Stamm und sog den Geruch der warmen Rinde ein. Teichläufer litt mit ihr. Sein langes weißes Haar klebte ihm nass am Schädel und bildete kleine Locken auf der Stirn, die er wegschüttelte. Sein eigenes schweißgetränktes Gewand war schwer wie ein Umhang aus Stein. Wenn ihm die Hitze schon so zusetzte, wie musste sie dann erst leiden?
»Alles in Ordnung?« fragte er. »Machen wir Rast?«
»Nur ganz kurz. Dann geht's wieder weiter.« Sie lehnte den schmerzenden Kopf an den Stamm.
Wenn sie ihn nur gelassen hätte, dann hätte er Weiden gesucht, Blattstiele abgekocht und daraus ein wirksames Kopfschmerzpulver gemacht. Die Wurzeln von Passionsblumen hätten auch geholfen, wenn auch nicht so gut. Aber das hatte sie abgelehnt, weil sie weitermarschieren mussten. Vielleicht würde er morgen Zeit dazu finden, bevor sie aufwachte.
Mit zitternder Hand massierte sie ihren Nacken, senkte die Hand aber wieder zum Magen.
Teichläufer ging zu ihr zurück. »Wird dir wieder übel?«
Muschelweiß lächelte schwach. »Mein Magen hat sich von selbst verknotet, damit ich mich nicht übergeben muss.«
Er legte ihr zärtlich eine Hand auf die Wange. »Möchtest du etwas Wasser?«
»Ja, vielleicht hilft das. Vielen Dank.«
Er streifte seinen Beutel von der Schulter, holte die Kalebasse mit Wasser heraus und nahm den Verschluss ab. Er gab ihr das Gefäß, erschauerte aber plötzlich und machte die Augen fest zu.
Muschelweiß trank. »Was ist?«
Teichläufer sah sie mit glitzernden Augen an. »Es ist… der Blitzvogel. Er poltert in mir.«
Sie zog die Brauen zusammen. Sie nahm einen großen Schluck Wasser. »Wenn der Vogel so aufs Reden erpicht ist, dann soll er doch einmal die Sturmfrau rufen. Wir könnten etwas Regen zur Abkühlung gebrauchen.«
»Regen?« meinte Teichläufer. Er blickte in den wolkenlosen Himmel und runzelte die Stirn.
»Ja«, erwiderte Muschelweiß. »Ich habe ein paar Seelentänzer gekannt, die haben behauptet, sie hätten die Seelen von Vögeln. Sie könnten Stürme herbeirufen.«
»Hundszahn hat so etwas erwähnt.«
Sie reichte ihm die Kalebasse, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und lehnte sich wieder an die Eiche. »Hundszahn musste eigentlich Bescheid wissen. Versuch's doch mal.
Schließlich sind Blitzvögel mit der Sturmfrau verwandt. Und ein paar kühle Regentropfen kämen mir gerade recht.«
Teichläufer blinzelte unsicher. »Vielleicht kann dieser Blitzvogel die Sturmfrau nicht rufen.«
»Na schön«, meinte sie. »Ein Versuch kostet uns ja kaum Zeit.«
Teichläufer schlug sich nervös seitlich gegen die Oberschenkel. »Also, wenn du bereit bist, dann wollen wir weitergehen. Ich spreche dann zum Blitzvogel, wenn wir in Bewegung sind, das ist vielleicht einfacher. Beim Gehen fühle ich mich freier.«
Muschelweiß nickte lächelnd. »Geh voraus. Ich komme nach.«
Teichläufer ging mit gesenktem Kopf und biss sich auf die Lippen.
Muschelweiß folgte ihm in ihrem eigenen Tempo, einen Schritt nach dem anderen. Sie musste sehr vorsichtig sein. Ein Sturz konnte sie wieder aufs Lager werfen, und das durfte sie nicht riskieren. Ein gespenstisches Wispern ging durch den Blätterwald - und verstummte. Sie runzelte die
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