Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
überließ Rotalge ihrer Verwirrung. »Und weißt du auch, Teichläufer, dass eine dieser Seelen, die in deinen Pupillen lebt, niemals den Körper verlässt?«
Ein Windstoß drückte Teichläufer das Gewand flach gegen die Brust und ließ sein langes weißes Haar um sein bleiches Gesicht flattern. Er schob es zur Seite. »Nein, Großvater, das habe ich nicht gewusst.«
»Ja, diese Seele bleibt dem Gebein ewig verhaftet. Und deshalb kannst du, wenn du dem Teich zuhörst, die Seelen reden und lachen und manchmal sogar weinen hören.«
»Ich höre sie, Großvater.« Teichläufer blickte in die Gesichter unter Wasser. »Aber ich kann sie nicht verstehen. Ich weiß nur, dass sie sich freuen, mich zu sehen.«
»Natürlich«, sagte Hundszahn und flüsterte: »Sie freuen sich, weil sie wissen, dass du bald bei ihnen sein wirst.«
Teichläufer rutschte unbehaglich hin und her. »Ich verstehe nicht. Wie meinst du das?«
Hundszahn drückte den Stecken auf Teichläufers Brust und machte eine Delle in den mattgrünen Stoff. »Wenn der letzte Adler fällt, ist Sturmbläser frei. Du weißt das. Alle werden sterben.«
Teichläufer nickte. »Ja, das weiß ich. Glaubst du denn, dass das so bald sein wird?« »Sehr bald.«
Jetzt wusste Teichläufer nicht mehr, was er sagen sollte. Er schaute Hilfe suchend zu Rotalge, aber sie schüttelte nur angewidert den Kopf, und ihr Blick bedeutete ihm: ›Ich hab dir ja gesagt, dass der Alte ein Irrer ist.‹
Hundszahn drehte sich um, deutete auf den Teich, und das Geweih rutschte ihm über das rechte Ohr.
Brummelnd rückte er es wieder zurecht. Mit Schlitzaugen sah er Teichläufer an. »Willst du leugnen, dass du ein Blitzjünger, bist?«
»Ich weiß nicht, Hundszahn«, antwortete Teichläufer.
»Ich möchte keiner sein, aber -«
»Du bist ein Blitzjünger. Das habe ich gesehen.« Hundszahn stand knurrend auf und blickte auf Teichläufer herab. »Du weißt es nur noch nicht. Deswegen habe ich dich heute hergebeten.«
»Aber Hundszahn«, sagte Teichläufer.« Selbst wenn ich einer wäre, heißt das noch nicht, dass ich derjenige bin, der die Adler abschießt. Ich kann mit dem Atlatl nicht gut umgehen. Vielleicht ist ja ein anderer nach mir dazu bestimmt?«
»Es ist Zeit.« Hundszahn beugte sich vor und stützte sei-' ne Handflächen auf seine bemalten Knie.
»Die Geister rufen deinen Namen. Hörst du sie? Sie haben viel mit dir zu besprechen.«
Teichläufers Blick glitt zum Teich. »Ich bin bereit. Glaube ich wenigstens. Sag mir, wie ich mit ihnen sprechen soll, Großvater.«
Hundszahn grinste und reichte Teichläufer seinen Stecken. »Hier, nimm den. Ich habe über ihn gesungen, er ist also geweiht, und die Geister werden dich nicht töten. Geh in den Teich, bis zur Mitte, zur tiefsten Stelle, die aber nur halb so tief ist, wie du groß bist, und ramme den Stecken in den Grund.
Dann halte dich daran fest, tauche ein und bleibe so lange unter Wasser, wie du kannst -«
»Und die Alligatoren da drüben?« stieß Rotalge hervor. »Das ist Selbstmord! Teichläufer, willst du dich lebendig auffressen lassen?«
Hundszahn betrachtete sie so neugierig wie ein Pantherkätzchen. »Wird er gefressen?«
»Nun, es ist doch möglich -«
»Hast du jemals gehört, dass die Alligatoren im Heiligen Teich die Ruhe der Toten stören? Ist so etwas jemals geschehen?«
Rotalge beobachtete die Alligatoren, die weiterhin selbstzufrieden mit aufgesperrtem Maul im Schlamm ruhten. »Nein«, antwortete sie, »aber das heißt ja nicht -«
»Mein liebes Mädchen, die Geister haben den Alligatoren schon mitgeteilt, dass sie mit Teichläufer zu sprechen wünschten.«
Hundszahn watete kurz in den Teich, darauf bedacht, nicht auf die Beschwerungsrahmen zu treten. Er winkte Teichläufer. »Keine Angst, komm nur!«
Mit zitternder Hand griff Teichläufer nach Hundszahns Arm. »Es geht schon, es geht schon«, sagte er und watete ins Wasser, den Stab fest in der rechten Hand.
»Geh bis zur Mitte.« Hundszahn wies auf die Stelle, die er meinte. »Es ist ziemlich seicht da. Du wirst sehen, das Wasser geht dir nicht einmal bis zu den Hüften.«
Teichläufer packte den Stecken wie ein Messer, als er den Alligatoren näher kam, aber sie beobachteten ihn nur reglos aus ihren Silberaugen. Seerosen glitten gedrängt um sein Gewand.
Hundszahn hob die Hände wie einen Trichter zum Mund. »Jetzt stoße den Stecken hinein«, brüllte er.
»Dann halt dich fest. Du musst völlig unter Wasser sein, so wie die Toten. Los
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