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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Morgendämmerung ähnelte dem Innern einer Muschel - rosig glänzend. Spannerraupe saß auf seinem Posten auf dem Dach, überwachte den Einlaß nach Krallenstadt und blickte auf die sonnenbestrahlten Wolken, die über den schillernden Himmel segelten, nach Südwesten, zu den dürren Ländern der Hohokam - ungewöhnlich in dieser Region der Westwinde. Eine kühle Brise fuhr unter den Saum seines hellbraunen Umhangs und zerrte einzelne Strähnen seines schwarzen Haares aus dem Zopf, die ihm nun um sein eckiges Kinn und breites Gesicht wehten. Er atmete tief ein; die feuchte Luft duftete nach Erde. Dunst schwebte über den Bewässerungsgräben, der sich bei einzelnen Windstößen hochrankte und davonwirbelte wie gespenstische Tänzer.
    Zu dieser frühen Stunde waren die Farben des Canyons atemberaubend. Die zerklüftete Kante leuchtete blutrot, während die Wände, noch von Schatten umhüllt, purpurfarben schimmerten. Überkrönt von den goldenen Wolken und dem rosigen Himmel, war dieses Panorama zu schön, um von dieser Welt zu sein; es gehörte sicher zu den leuchtenden Himmelswelten.
    Weil Spannerraupe müde war und fror, zog er den Umhang fest um sich und lauschte den Lauten, die aus dem erwachenden Canyon drangen. Jenseits der Wasserrinne, bei Strombettstadt, überquerten die Leute die Plaza, machten Feuer und redeten. Jemand lachte. Entlang der Canyonwand schwebten aus Kesselstadt melodische Flötentöne heran, stärker oder leiser, je nach dem Wind. Sklaven von Krallenstadt waren schon dabei, mit leeren Wasserkrügen zur Senke des Rechten Wegs hinabzusteigen. Zwei Frauen trugen Wiegenbretter auf dem Rücken, die sie mit Stirnriemen gesichert hatten. Die Babys, die unter dem Ansitz von Spannerraupe vorbeikamen, blinzelten ins Morgenlicht.
    Spannerraupe gähnte. Bald würde ihn Stechmücke ablösen. Die letzten Tage der Vorbereitung für den Trauerzug und die Auseinandersetzungen mit Schlangenhaupt hatten ihn zermürbt. Er dankte dem Bär-Thlatsina, daß er den Mut aufgebracht hatte, mit Eisenholz zu sprechen. Eigentlich hätte er selbst daran denken können, einen gesonderten Trupp mitzunehmen. Warum war ihm das nicht eingefallen ? »Weil du für so etwas nicht taugst«, flüsterte er vor sich hin. Der Atem verdichtete sich vor seinem Mund zu weißen Wölkchen.
    Politik war nie seine Stärke gewesen. Als Krieger war er sehr gut, aber er hatte kein Talent für geschickte Machenschaften oder listige Täuschungen. In beiden Fällen fühlte er sich schuldbeladen und irgendwie beschmutzt.
    Gewöhn dich daran. Ein Kriegshäuptling muß beides können und zwar gut, das wird von ihm erwartet.
    Er sah Trauertaube mit einem Korb voller Wäsche auf den Hüften vom Wassergraben kommen. Er runzelte die Stirn. Sie hatte noch vor Tagesanbruch unten Wäsche gewaschen? Bei dieser Kälte? Ihm schwindelte plötzlich. Wieso hatte er sie nicht weggehen sehen? Sie mußte letzte Nacht in Kriechers Zimmer geschlafen haben und dann im Stockdunkeln durchs Fenster gekrochen sein - ein todeswürdiges Verbrechen, es sei denn, sie hätte Kriechers Erlaubnis gehabt. Aber selbst dann - es beunruhigte ihn, daß er nicht gesehen hatte, wie sie sich davonmachte. Trotz seiner Müdigkeit hatte er sehr genau aufgepaßt. Sie mußte sich große Mühe gegeben haben, um wegzuschlüpfen, während er sich gerade abgewandt hatte.
    Zierlich, braun gewandet, die Pausbäckchen gerötet, so ging sie durch das Tor, hob freundlich grüßend eine Hand und lächelte. Spannerraupe erwiderte den Gruß.
    Trauertaube ging über die westliche Plaza durch das Tor und an den anderen Sklaven vorbei, die sich ihr Frühstück machten. Dann kletterte sie die Leitern zu Schlangenhaupts Zimmer hinauf. Ohne sich lange anzumelden, schlüpfte sie gleich unter dem Vorhang zum Häuptling hinein. Einen Augenblick lang starrte ihr Spannerraupe mit offenem Mund nach. Was für eine Vermessenheit! Das sah doch Trauertaube gar nicht ähnlich, daß sie… Unsinn, du Narr, Schlangenhaupt hat sie offensichtlich erwartet.
    Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und zog die Knie unterhalb seines warmen Umhangs an. Schlangenhaupt kam geduckt durch den Vorhang und eilte die Leitern zum Dach des ersten Stockwerks hinunter. Er trug ein dunkelgrünes Hemd mit rot-schwarzen Schlitzen über der Brust. Sein langes schwarzes Haar hing ihm lose um sein ovales Gesicht. Er stieß beim Gehen weiße Atemwölkchen aus.
    Spannerraupe stand auf. Der Himmel hatte sich golden gefärbt, aber Vater Sonne

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