Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
sich auf der Plaza. Die Gemachten Menschen hatten sich auf ihre Zimmer zurückgezogen, um ihr Abendessen zu machen, und die Sklaven waren inzwischen eingeschlossen. Leises Stimmengewirr brachte der Wind mit sich.
Stechmücke hielt über dem Einlaß Wache, sein kräftig gebauter Körper schwarz gegen den schiefergrauen Himmel. Weitere drei Krieger hockten auf dem Dach des fünften Stocks. Eisenholz nickte beifällig. Mit nur einer Handvoll zurückgebliebener Krieger war Wachsamkeit notwendig. Stechmücke hatte richtig gehandelt.
Eisenholz ging über den festen Boden der Plaza; der Windjunge zauste an seinem ergrauenden Haar und peitschte in seine Hirschlederärmel. Sein beflecktes Hemd roch noch nach Maisfasers Blut. Er mußte sich umziehen. Vor einer Zeithand hatte Kräuterblüte mitteilen lassen, daß sie morgen früh gern mit Nachtsonne sprechen würde. Beide wußten, was die Aufforderung bedeutete. Aus Menschenliebe hatte Kräuterblüte Nachtsonne Zeit lassen wollen … um ihre Verteidigung vorzubereiten, um die Beweise wegzuschaffen - nämlich ihre Tochter - oder um fortzugehen.
Nachtsonne hatte schon vorsorglich ihren Beutel in die Kiva gebracht. So bald wie möglich würden sie zu dritt aufbrechen, selbst wenn Eisenholz seine Tochter die ganze Zeit tragen müßte. Wenn sie vor Morgengrauen aufwachte, würden sie sie fragen, ob sie mitgehen oder als Krallenstadts Ehrwürdige Mutter bleiben wollte. Andernfalls würden sie Maisfaser einfach mitnehmen.
Er stieg die Leiter hinauf und ging über das Dach zu seinem Zimmer, und dabei atmete er den herangewehten Zedernholzrauch ein. Er schmeckte förmlich den süßlich-scharfen Geruch in seiner Kehle. Hunderte von Feuern funkelten entlang der Canyon-Sohle, wie aufgenähte Topas-Perlen auf kobaltblauem Samtgrund.
Eisenholz kletterte in sein Zimmer hinab.
Die weißen Wände reflektierten das taubengraue Licht, das durch den Dacheinlaß fiel. Er blieb einen Augenblick stehen, um seine Augen an das Halbdunkel zu gewöhnen, ging dann zu dem Stapel gefalteter Hemden auf dem Kopfende seines Bettes. Er würde warme und kräftige Sachen brauchen. Er zog sich das verschmutzte Hemd aus und warf es auf den Boden; er streifte ein einfaches goldbraun gegerbtes Rehlederhemd über. Die Ärmel- und Saumfransen flatterten.
Er band sein Bündel zu und warf es über die Schulter, dann ergriff er seinen Köcher und seinen Lieblingsbogen.
Seine Blicke suchten die Bilder der grimmigen Thlatsinas; er betrachtete noch einmal jede einzelne Waffe an der Wand. Die Wasser- und Samenwesen, die in den Skalps lebten, wisperten ihm zu; es war wie das Gesäusel des Windes, aber er verstand keines ihrer Worte.
»Lebt wohl«, sagte er leise.
Er ließ seine Finger über den geschnitzten, reichverzierten Bogen gleiten, den ihm Krähenbart nach dem Kampf bei den Gila-Monster-Klippen geschenkt hatte. An jenem Tag hatte sich die Welt verändert. Er hatte sich verändert.
Unter den Gila-Monster-Klippen hatte er seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt, nicht nur gegenüber seinem Häuptling, er hatte sich selbst bewiesen. Zum ersten Mal seit dem Tod seiner geliebten Frau Lupine und seines kleinen Sohnes hatte er gewußt, wer er war.
»Jetzt schlage ich einen neuen Weg ein. Ich bitte die Götter, mir zu helfen, meinen Weg zu finden.« Ein letztes Mal schaute Eisenholz sich um und durchlebte noch einmal alles, woran er sich erinnerte. Dann wandte er sich schnell ab und kletterte die Leiter hinunter, fliehend, bevor die Trauer ihn überwältigte. Schweigend stand er auf dem Dach, die Finger spielten mit seinem Bogen. Eine Eule schwebte über der Stützsäule, die Flügel bewegt im wehenden Wind. Die Abendleute glitzerten am Himmel.
Stechmücke hockte über dem Tor, eine Decke um seine Schultern.
Eisenholz kletterte hinab zur östlichen Plaza und ging mit leise knisternden Mokassins zur Kiva der Ersten Menschen.
In seinem Herzen vermischten sich Erregung und Melancholie. Das ergab eine seltsame Leere, die er nicht ganz verstand. Er würde mit Nachtsonne Zusammensein - und vielleicht mit ihrer beider Tochter Maisfaser. Um diesen Tag hatte er fast sein halbes Leben lang gebetet. Warum tanzte er nicht? Vor sechzehn Sommern hätte er getanzt.
Du bist ein alter Mann, Eisenholz. Deine Seele ist zu müde für solche albernen Darbietungen. Er näherte sich der Tür zum Altarraum und dem daneben befindlichen Tor zwischen den beiden Plaza-Hälften. Bevor er geduckt eintreten wollte, hörte er die Stimme eines
Weitere Kostenlose Bücher