Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
drehte sich um und winkte. Dreißig Krieger glitten in gleichmäßigem Fluß durch den Einlaß. Sie waren ganz lautlos, nur das Knirschen der Sandalen auf dem Boden verriet ihr Eindringen in die Stadt.
Eichelhäher und Distel hasteten die Leiter hinunter, um sich mit den Kriegern zu vereinigen, und deuteten auf die Schatten in der Zimmerreihe, die die Plaza teilte.
Distel wies auf die oberen Stockwerke in der östlichen Reihe. »Da wohnen die Ersten Menschen. Dort findet ihr Nachtsonne. Ihr Zimmer ist dort drüben, hinter der T-förmigen Tür.«
Eichelhäher übersetzte das seinen Kriegern, und schickte eine erste Rotte von zehn los. Sie trabten über die Plaza und eilten die Leitern neben den Großen Kriegern hoch. Im schwachen Licht schienen die Götter mit finsterer Absicht grimmig hinabzusehen.
»Die Sklaven sind in den Rundzimmern da drüben eingesperrt«, teilte Eichelhäher Heuler mit und wies dorthin. »Ihr müßt eine Leiter zu ihnen hinunterfallen lassen; sagt ihnen, sie sollen fliehen, aber ohne einen Laut.«
Heuler nickte und nahm eine zweite Zehnerrotte mit.
»Die Tür dort neben dem Tor führt zur Kiva der Ersten Menschen.« Distel führte Eichelhäher und den Rest der Krieger der Zimmerreihe entlang, die die Plaza in zwei Hälften teilte.
In diesem Augenblick brüllte ein Mann, dann hörte man Ächzen und schlurfende Geräusche. »Was geht hier vor?« rief Eichelhäher leise. Zwei seiner Krieger zerrten einen großen grauhaarigen Mann durchs Tor. Sie konnten ihn nur zu zweit halten. Eichelhäher packte unwillkürlich seine Keule und ging in die Hocke; er hörte, wie seine Krieger gekerbte Pfeile gegen die Sehnen legten. Eine Keule war schon hochgeschwungen, um den kämpfenden Mann zu erledigen, aber da schrie Distel: »Wartet! Das ist Eisenholz!«
»Halt!« rief Eichelhäher in seiner Sprache. »Den brauchen wir noch.«
»Der ist eine Leiter hochgeklettert, um die Wachen zu warnen«, flüsterte der hochgewachsene Krieger Flughund.
»Eisenholz«, sagte Eichelhäher mit eisigem Lächeln, »es ist schon so lange her.« Er streckte ihm die Hand entgegen.
Zu seiner Überraschung blickte der Krieger des Rechten Wegs erst auf die Männer ringsum, bevor er nervös die Hand ergriff und fragte: »Wer bist du? Warum -«
Eichelhäher riß ihn zu sich heran, zog den Dolch aus dem Gürtel und setzte die scharfe Spitze grob auf den Hals von Eisenholz. »Keinen Laut, Kriegshäuptling, oder ich steche zu. Hör genau zu! Kennst du Maisfaser? Ein Mädchen aus Lanzenblattdorf? Antworte sofort, oder du wirst mit einer Menge anderer Leute sterben.« »Wer bist du?« stieß Eisenholz zwischen den Zähnen hervor.
»Ihr Großvater.«
Eisenholz schüttelte verwirrt den Kopf. »Was?«
Distel trat vor, so nahe, daß Eisenholz sie genau erkennen konnte. Sie sagte: »Ich bin gekommen, meine Tochter zu retten, Eisenholz. Wo ist sie? Im Käfig?«
Eichelhäher spürte Eisenholz schlucken, sein Kehlkopf vibrierte gegen die Dolchspitze. Mit großen Augen schaute er auf Distel. »Nein. In … der Kiva, Distel. Warum tust du das?«
»Weil sie alles ist, was ich noch habe, Eisenholz. Kommt, hier entlang!« Distel eilte vorwärts. »Flughund!« Eichelhäher schob Eisenholz zu den zwei Kriegern, die ihn gefangengenommen hatten. »Schnell! Bindet ihm die Hände und einen Strick um den Nacken, damit du ihn erdrosseln kannst, Flughund, wenn er schreit.«
Er und seine Krieger folgten Distel in den herrlich ausgemalten Altarraum und stiegen dann die Treppe hinunter in die große Kiva mit ihren vier gemauerten Pfeilern und der atemberaubenden Ansammlung von Masken.
»Maisfaser!« rief Distel. Sie rannte auf den Kreis der Menschen zu, die eine hingestreckte junge Frau umstanden.
Eine hochgewachsene Frau erhob sich und blickte Eichelhäher aufmerksam und argwöhnisch an. Die drei Männer standen nacheinander auf und flüsterten nervös miteinander.
»Umstellt sie!« Eichelhäher winkte nach allen Seiten. »Durchsucht das hier. Nehmt euch alles, was wertvoll aussieht.« Als seine ausgeschwärmten Krieger die Opfergaben aus den Nischen raubten und die heiligen Masken herunterrissen, ging Eichelhäher auf die Wartenden zu, und das Herz klopfte ihm im Hals. Distel kniete neben dem bewußtlosen Mädchen. War das seine Enkelin? Im Augenblick konnte er nur wenig unter dem häßlichen schwarzen Bluterguß auf der geschwollenen Gesichtshälfte sehen.
»Was ist hier vorgefallen?« wollte er wissen.
Die Frau, eine schlanke Schönheit mit
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