Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
abgeschossen.
Eichelhäher sah Distel an und tippte mit dem Zeigefinger auf den Boden. »Zeichne mir's auf. Wir haben vielleicht nur einen Zeitfinger, um das zu erledigen. Ich muß genau wissen, wo die Zimmer der Ersten Menschen sind.«
Distel zeichnete den halbmondförmigen Bau in den Boden und zog die Linie der Räume, welche die Plaza teilten. Sie sagte: »Denke daran, daß ich fast sechzehn Sommer lang nicht mehr hier gewesen bin, Großer Häuptling. Ich nehme zwar an, daß ihre Zimmer noch an derselben Stelle sind, aber vielleicht sind sie umgezogen.«
»Ich verstehe. Mach weiter!«
»Hier, im fünften Stock, ganz hinten, war Krähenbarts Zimmer. Hier auf der rechten, der Ostseite, lag das Zimmer von Nachtsonne, gerade unterhalb der Stützsäule« - sie tippte auf ihre Zeichnung -, »und Nordlichts Zimmer war nicht weit davon entfernt… hier. An der Vorderfront, im ersten Stock, wohnte Eisenholz. Das Zimmer von Federstein -«
»Die alte geistesgestörte Frau?«
»Ja.«
»Macht nichts. Sie würde uns zu lange aufhalten. Und wenn die Ersten Menschen nicht in ihren Zimmern sind - wo dann?«
Distel bohrte eine Delle in die Zimmerreihe, welche die Plaza in zwei Hälften teilte. »Hier, Eichelhäher. Das ist die Kiva der Ersten Menschen.«
Eichelhäher sah zwischen dem gezeichneten Plan und Krallenstadt hin und her, um sich die entscheidenden Orte einzuprägen. Ein seltsames Glitzern war jetzt in seinen Augen. Er drehte sich zu Heuler um, und der große, häßliche Krieger leckte sich nervös die Lippen. Eichelhäher sagte: »Es ist jetzt wohl dunkel genug. Nimm dir drei Mann und folge uns. Sie müssen so nahe wie möglich an ihre Ziele herankommen und so lautlos wie möglich töten. Sie haben nur eine einzige Chance.«
»Ich verstehe«, erwiderte Heuler.
»Das hoffe ich.« Eichelhäher wies nach links, auf die Leute, die redend und lachend vor Strombettstadt promenierten, und dann nach rechts, auf den hellen Feuerschein von Kesselstadt. »Eine falsche Bewegung, Heuler, und die Krieger aus diesen Städten sammeln sich sofort, um sich auf uns zu stürzen wie Wölfe auf Feldmäuse.«
Heuler nickte. »Ich habe den Männern schon gesagt, daß sie keinen Laut von sich geben oder auch nur ›versehentlich‹ etwas anzünden dürfen und daß alles, was die anderen Städte alarmiert, uns tausend Krieger auf den Hals hetzt, die dafür sorgen werden, daß wir nicht mehr heil aus dem Canyon kommen.«
»Gut. Mach ihnen auch klar, daß die Hunde vom Rechten Weg morgen in aller Frühe ihre Truppe aufgestellt haben werden. Wir müssen also heute nacht so schnell und so weit wie möglich laufen.« »Das sage ich ihnen.«
»Geh jetzt. Bring sie in Stellung, während ich mit Distel rede.«
»Ja, mein Häuptling.«
Heuler kletterte in die Senke hinab und lief geräuschlos durch die Reihen. Hie und da tippte er einem Mann auf die Schultern. Drei Männer erhoben sich und verschwanden; auf getrennten Wegen gingen sie auf Krallenstadt zu. Ihre grauen Hemden verschmolzen mit dem Dämmerlicht.
Leise wie Frühlingsnebel kroch Eichelhäher über den Grabenrand und lag flach im Gras, mit zugekniffenen Augen spähend.
Distel folgte seinem Blick - er suchte sicher seine ausgesandten Krieger. Sie konnte im Halbdunkel nichts wahrnehmen, doch er schien die Bewegung eines Mannes zu beobachten. Seine Blicke wanderten nach links.
Sie knirschte mit den Zähnen. Sie hatte keine Waffe, denn man traute ihr noch nicht. Sie hatte nur ihre Hände, um sich zu verteidigen. Aber sie würden ihr vertrauen. Bald.
Nach einem weiteren Zeitfinger flüsterte Eichelhäher: »Es ist Zeit, Distel.«
Sie kletterte mühsam aus dem Graben heraus und stand auf. Ihr Herz hämmerte gegen die Rippen. »Es tut mir nur leid, daß Schlangenhaupt nicht hier ist; dann könnte ich ihn selbst töten.« »Dazu kommt es noch, Distel. Besonders, wenn der Überfall in dieser Nacht erfolgreich verläuft.« Langsam stand er auf, fühlte nach seinem Bogen, der ihm über der rechten Schulter hing, und nach dem Köcher über der linken Schulter, der zehn schön gefiederte Pfeile enthielt. Er band die Kriegskeule vom Gürtel los und prüfte ihr Gewicht.
»Du weißt genau, daß der Krieger auf Wache über dem Tor Stechmücke heißt?«
»Ja, so heißt er.«
»Also gut. Auf geht's!«
Eisenholz kam geduckt aus dem Altarraum und schaute sich auf der Plaza um. Es war Nacht, und Fledermäuse flatterten durch den orangefarbenen Schein, der von der Stadt ausging. Niemand befand
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