Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Körperlänge im Durchmesser. Das Wasser hatte es aus dem Sandstein ausgehöhlt. Schöne rote, graue und braune Wirbelkreise schmückten den Fels. Sie setzte den Topf neben das Wasserloch und ließ sich langsam auf einen steinernen Vorsprung nieder. Die Beine zitterten ihr. Jenseits der schwachen Eisschürze an den Rändern kräuselte kein Windhauch das Wasser. Es spiegelte die wellige Klippenfläche, ein kleines Dreieck blauen Himmels mit einem Wölkchen. Maisfaser zog die Knie an, lehnte den Bogen dagegen und nahm die Morgenstille in sich auf.
Zwei Canyon-Zaunkönige flatterten durch das Gestrüpp. Mit braunem Rücken, rostrotem Rumpf und schneeweißer Brust fügten sie sich so gut in die Schattierungen der Wüste ein, daß sie fast unsichtbar wurden. Maisfaser lauschte mit schräggelegtem Kopf ihrem sanften Pfeifen, mit dem sie sich unterhielten, mit klaren, abfallenden Tönen: Tii-tii-Hier. Tii-tii-tiier.
Maisfaser atmete langsam und sanft aus.
Beifuß und Wintergräser bedeckten die Canyon-Sohle mit einem Mosaik von Gold und Türkis. Größere Kolonien von Natterwurz, Yucca und Goldaster schössen an verschiedenen Stellen hoch. Es war so schön, daß es weh tat.
Sie strich über das glatte Holz des Bogens und dachte an den Tag, da ihr Vogelkind geholfen hatte, ihn zu machen. Sie hatten zusammen gelacht…
Ein unbestimmter stechender Schmerz durchfuhr sie, als ob jeder Nerv bei der Berührung weh tat. Eine verzweifelte Stimmung war jetzt ihr ständiger Begleiter. Verzweiflung atmete in ihren Lungen, floß ihr durch die Adern und blickte durch ihre Augen. Die halbe Nacht hatte sie sich den Kopf zerbrochen, wie der Krieger hieß, der der Vogelkind umgebracht hatte. Stechmücke! Sein Name war Stechmücke!
Mehr als alles andere wünschte sich Maisfaser, sie könnte sich in einer warmen Decke zusammenkuscheln und für immer schlafen. Wenn sie das nur könnte …
Ein leichtes Tappen von Tatzen auf Stein, kaum hörbar. Sie erstarrte, jeder Muskel gespannt. Sand fiel von einem Sims über ihr in einer feinen roten Dunstwolke nieder. Wellenkreise kräuselten das Wasserloch. Mit quälend langsamer Bewegung holte sich Maisfaser einen Pfeil aus dem Köcher. Sie legte ihn quer über den Bogen und lenkte den Blick ganz allmählich hinauf.
Auf dem Sims dreißig Hände über ihr kauerte ein Luchs. Das braungelbe Fell war schwarz gefleckt, und auf dem kurzen Schwanz waren zwei schwarze Ringe. Beim Anblick von Maisfaser legten sich die mit Haarbüscheln versehenen Ohren flach.
Hier mußte die Katze allmorgendlich jagen, auf dem Sims, der das Wasserloch überblickte, auf der Lauer liegen und auf kleinere Tiere warten, die zum Trinken hierher kamen.
Auge in Auge mit dem Rotluchs legte Maisfaser sorgfältig den Pfeil ein. Die Katze knurrte und buckelte, als wüßte sie genau, was Maisfaser vorhatte.
Maisfaser hob den Bogen, zog den Pfeil zurück…
Ein unmenschliches Ächzen wurde hinter ihr laut, so als ob ein Bär in eine Falle getappt wäre, und dann brach jemand geräuschvoll durchs Gestrüpp. Sie fuhr herum. Der Rotluchs kletterte vom Sims herunter, sprang ins Dickicht und stürmte durch die Wüste davon. Maisfaser seufzte resigniert und ließ den Bogen sinken.
Sängerling stand im Gebüsch, rechts vom Opferstein. Seine langen schwarzen Haare fielen ihm über die Brust. Er hielt die Arme ausgestreckt und seine Beine gespreizt. Als sie das Entsetzen auf seinem schmalen Gesicht sah, liefen ihr Schauer über den Rücken. Die Nüstern seiner Hakennase bebten. Sie lief zu ihm. »Was ist geschehen? Alles in Ordnung?«
»Ich bin über den Stein gefallen«, sagte er und eilte steifbeinig zu ihr.
Ungeachtet des Eises watete er in das Wasserloch und streckte sich auf dem Rücken aus, den Kopf an den Sims gelehnt, auf dem sie gesessen hatte. Die langen schwarzen Haare schwammen um ihn herum. Unter dem bewegten Wasser glühte seine verbrannte Haut in einem gespenstischen rötlichen Purpur. »Heilige Götter«, ächzte er erleichtert.
Maisfaser setzte sich mit untergeschlagenen Beinen auf einen Stein ihm gegenüber und stellte den Topf ab. »Du bist einfach zum Leiden verdammt, Sängerling. Ich hatte auf einen Rotluchs angelegt, als du so gestöhnt hast. Das Fett für den Balsam, um deinen Sonnenbrand zu lindern, ist jetzt nach Osten gerannt. Der Luchs hätte um diese Jahreszeit vielleicht noch nicht soviel Fett hergegeben, aber etwas ist besser als nichts.«
Er sank tiefer ins Wasser und ließ das kalte Wasser um sein
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