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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Eichelhäher.« Er machte eine Pause. »Du willst doch nicht etwa fortlaufen, oder?«
    Sängerling schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht. Ich brauche nur etwas Zeit, um nachzudenken.« »Na schön.«
    Heuler stapfte den Pfad zu dem unansehnlichen Dorf hoch; seine Schritte verhallten. Sängerling strich mit den Händen über die feuchte Erde. Bruchstücke des Gesprächs wirbelten ihm durch den Kopf.
    Alles, was er einst von sich selbst geglaubt hatte, war falsch - sein Namen, seine Familie, sein Dorf, sogar sein Volk, und die Männer und Frauen, die er geliebt und denen er am meisten vertraut hatte, gerade die hatten ihn betrogen. Mit diesem Widerspruch wurde er nicht fertig; der nagte und riß an seiner Seele, bis er dachte, er könnte es nicht mehr aushalten.
    Heiser flüsternd fragte er: »Heilige Thlatsinas - wer bin ich? Was bin ich?«

48. K APITEL
    »Der Schöpfer, Sängerling, ist der Kolibri«, sagte Eichelhäher und deutete auf die bemalte Schale am Ende des Zimmers. Das lavendel-farbene Licht der Morgendämmerung fiel durch das Fenster zu Sängerlings Linken und warf ein langes Rechteck über den grauen Steinboden. Die wunderschön gemalten Vögel auf den Schalen, die an der Wand standen, schienen zum Leben zu erwachen, besonders der Kolibri mit seinen schwarzen Flügeln. »Jeder seiner Flügelschläge gibt der Welt neuen Atem, und wenn seine Flügel je aufhören zu schlagen, wird die Welt ersticken. Deswegen beten wir zu ihm und bieten ihm Blütenstaub vom Mais, um ihm Kraft zu geben.«
    »Danke, daß du mir das erzählst, Großvater.« Sängerling lauschte in sich hinein, ob diese Geschichte irgendeinen Widerhall in seinem Herzen fand, ob sie irgend etwas in ihm wachrief, was ihm verriet, daß er eine Mogollon-Seele besaß, aber er fand in sich nur einen völlig verwirrten Jüngling vom Rechten Weg. Oberhalb der Kolibri-Schale hing eine Reihe von Körben im Schatten an der Wand. Sie klapperten, als der Windjunge durch den Raum huschte.
    Sängerling biß wieder in sein Brot. Er saß Eichelhäher am Feuer gegenüber und beendete sein Frühstück aus gebratenem Hirschfleisch und geröstetem Kürbissamenbrot. Zu Hause, im Anemonendorf, hatten sie selten Hirschfleisch gehabt. Es hätte Sängerling eigentlich besonders würzig und saftig schmecken sollen, aber er hatte den Appetit verloren.
    Flaumfeder saß rechts neben Eichelhäher. Sie hatte sich bei Sängerling einschmeicheln wollen, hatte seinen mageren Körper mit Nahrung vollgestopft und ihn gezwungen, bitteren Weidenrindentee zu trinken, nur für den Fall, daß noch böse Geister aus dem Land des Rechten Wegs in seinem Körper lauerten. Sie hatte ihm sogar ein fabelhaftes neues rot-grünes Hemd geschenkt. Beim Essen schaute Sängerling auf den weichen Stoff hinunter. Zwei Zeithände zuvor hatte er im Fluß gebadet. Sein langes schwarzes Haar und seine tiefgebräunte Haut glänzten. Aber in seinem Herzen war er verzweifelt. Er versuchte beim Essen zu lächeln, aber seine Seele schwebte außerhalb seines Körpers und schaute hinab in diese fremde neue Welt.
    Es war eine erschreckende Erkenntnis, daß hier nichts stimmte, daß nichts von Bestand sein würde. Wie ein eisiger Wind drang sie in die Tiefen seiner Seele, vor kommendem Unheil warnend und ein Grauen prophezeiend, das alles übertreffen würde, was er je erlebt hatte. Die Erkenntnis lastete auf ihm, er konnte sie nicht abschütteln.
    Eichelhäher lehnte sich auf seinem Hirschfell zurück und nippte an seiner Tasse Tee aus getrockneten Stachelbeeren. Flaumfeder, deren langes graues Haar in einer Schnecke auf dem Scheitel festgesteckt war, saß neben dem Häuptling. Sie trug einen schwarzen Umhang über den mageren Schultern. Sie sah sehr alt aus. Die Wangen, sicher einmal rosig und voll, waren jetzt eingefallen. Ein weißer Schleier lag auf ihren braunen Augen. Sie litt an der Krankheit der schmerzenden Gelenke. Die ganze Nacht hatte sie im Schlaf gestöhnt.
    Ihr faltiger Mund verzog sich vor Enttäuschung, als Sängerling seine halbvolle Schale mit Hirschfleisch und Brot absetzte und nach seinem Tee griff.
    »Du gut? Ja, Sängerling?« fragte sie gebrochen in der Sprache des Volks des Rechten Wegs. »Ich bin einfach satt, Flaumfeder. Es war ein wunderbares Frühstück, vielen Dank.« Mit gerunzelter Stirn schaute er auf die geometrischen grün-roten Muster auf seinem Hemd, die gegen den grauen Boden leuchtend bunt wirkten.
    Eichelhäher drehte die Tasse in den Händen. »Du siehst traurig aus,

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