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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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er vor Angst so fassungslos gewesen, daß er seiner Sinne nicht mehr mächtig war?
    Er sah sie.
    Sie kam aus einem versteckten Schlitz im Hintergrund, das lange schwarze Haar umfloß sie, und die Falten ihres roten Gewandes schimmerten purpurn. Seine Schnurrhaare zitterten vor ehrfürchtiger Bewunderung. Also … gab es da noch eine Kammer, in den nahtlosen Türkiswänden vorzüglich verborgen. Sie folgte einem schmalen Pfad um den Teich herum und stand schließlich über ihm, die Mitternachtsaugen weit offen, ihr Blick durchdringend. Das feurige Licht in der Höhle umgab sie wie ein strahlender Kreis.
    »Was hast du mir anzubieten?«
    Sängerling zog die warme, feuchte Luft tief ein. »Mich.«
    »Im Austausch für was?«
    »Für das Leben eines Mannes namens Eisenholz.«
    »Dein Großvater will ihn töten?« fragte sie und ging dabei anmutig zur anderen Seite des schmalen Gangs, wo sie sich hinsetzte, mit dem Rücken gegen den Stein. Das feurige Licht war so grell geworden, daß Sängerling seine Augen zu Schlitzen verengen und seine Schnauze senken mußte, um sie sehen zu können.
    War sie ein Mensch? Oder eine Göttin? »Ja, und ich - ich darf nicht zulassen, daß das geschieht.« Ihr Blick bohrte sich in ihn hinein. »Du würdest Maisfaser aufgeben? Du würdest ihr Glück opfern und deines auch?«
    Sängerlings Läufe zitterten jetzt so stark, daß er sich auf den warmen Boden hinlegen mußte. »Ich liebe sie, Hüterin. Ich liebe sie sehr, aber sie ist jung. Sie wird einen andern finden.« Die Hüterin starrte ihn an. »Warum willst du dein Leben aufgeben für einen Mann, den du kaum kennst?«
    Die Kehle war ihm zugeschnürt. Er schluckte heftig. »Ich… ich kann einfach keinen von ihnen mehr sterben sehen. Bitte. Es ist nicht ihre Schuld. Verstehst du nicht? Wenn ich nicht geboren worden wäre, dann wäre das alles nicht geschehen. Aber ich wurde geboren. Und deswegen ist alles geschehen. Ich bin dafür verantwortlich.«
    »Weißt du, wie viele unschuldige Männer und Frauen Eisenholz getötet hat? Wie viele Kinder er versklavt hat? Wieso glaubst du, daß sein Leben mehr wert ist als deins? Hast du dich denn solcher Verbrechen schuldig gemacht?«
    Sängerling senkte seine Schnauze auf seine Pfoten. »Nein, nein. Aber darauf kommt es doch nicht an.« »O doch, den Göttern ist das sehr wichtig. Sie sind sehr auf Gerechtigkeit bedacht.« »Aber Hüterin, viele der Götter waren einmal Krieger. Also sind sie genauso sehr auf Pflicht und Verantwortung bedacht. Eisenholz ist ein guter Mensch. Er hat nur seine Pflicht getan, für sein Volk und seinen Häuptling. Und jetzt tue ich meine Pflicht.«
    Sie warf den Kopf zurück, als könnte sie das nicht glauben. »Du betrachtest es als deine Pflicht, grundlos zu sterben?«
    »Es ist ja nicht grundlos. Ich opfere mein Leben für Eisenholz' Leben, weil ich glaube, mit ihm kann die Welt sich zum Besseren verändern. So viele sind schon meinetwegen gestorben. Also laß es mich bitte tun.«
    Das wundervolle blaue Feuer erlosch langsam; das feurige Azur auf den Wänden verblaßte allmählich zu einem fahlen Blau und dann zu einem eisigen Grauweiß.
    In dem trüben Licht schienen die Augen der Hüterin größer zu werden, so groß wie die Augen einer Eule und genauso wachsam. Sie fragte: »Verstehst du nun, was es heißt, das Herz einer Wolke zu haben?«
    Sängerlings Kehle war trocken. Er beugte sich über den Boden, um Wasser zu schlürfen, um seinen heißen Gaumen zu kühlen und seine Nerven zu beruhigen. Es schmeckte frisch und warm. Er leckte sich die Schnauze, um sie wieder zu trocknen.
    »Ich glaube«, antwortete er, während er lange und langsam ausatmete, »das Herz einer Wolke besteht aus Tränen, Hüterin. Ich habe lange darüber nachgedacht. Wir sprechen oft davon, daß die Wolkenleute Tränen für uns vergießen, um uns Leben zu geben. Ihre Tränen sind der Regen.« Sie lächelte kaum merklich. »Und auf dem Wind zu gehen? Weißt du, was das bedeutet?« Sängerling rutschte unsicher hin und her. Der Satz hatte ihn schon immer verwirrt. Sein Schwanz wischte über die Steinwand, während er darüber nachdachte. »Wenn ich im Herzen einer Wolke lebte, könnte ich aus der Höhe, oberhalb des Chaos, auf die Welt hinabblicken, um sie deutlicher zu sehen. Das ist wahrscheinlich damit gemeint. Wenn ich in den Tränen anderer lebte, sähe ich das Leben klarer.«
    Als fände sie die runden Steinmulden im Boden interessant, strich sie gedankenvoll darüber hin. Als sie wieder

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