Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
graue Flechtwerk der Zweige hindurch den Austernsteg sehen konnte.
Wilder Fuchs schob gerade ein schmales Kanu ins Wasser. Dann sprang er leichtfüßig hinein, setzte sich und paddelte in die Bucht hinaus. Wenn er sich wirklich so heftig in die Hand geschnitten hatte, wie der Blutfleck anzudeuten schien, so schien ihn die Wunde jedenfalls nicht weiter zu beeinträchtigen. Weidenstumpf kauerte sich nieder. Warum hatte Wilder Fuchs ein Kanu auf dieser Seite der Bucht auf den Strand gezogen? Warum nicht bei Flache Perle?
»Bin froh, dass ich dich los bin, Wilder Fuchs, du Dummkopf.«
Wilder Fuchs, der verwöhnte Sohn des Weroanzi, hatte alles gehabt - sogar Rote Schlinge. Aber seit heute Morgen nahm Weidenstumpf die Dinge selbst in die Hand und begann, es ihnen allen heimzuzahlen.
Du wirst sehen, Wilder Fuchs, du wirst Weidenstumpf nicht mehr unterschätzen.
Er schlug sich auf den Schenkel und richtete sich auf, um wieder nach dem Pfeil zu suchen.
Drei
Jagender Falke presste die zahnlosen Kiefern aufeinander. Seit Mittag schon wurde Rote Schlinge vermisst. Die hastige Suche nach ihr innerhalb der Palisaden war ebenso ergebnislos verlaufen wie die in den Häusern auf den Feldern. Jagender Falke war verärgert über das Durcheinander, das dabei entstanden war. Immerhin fanden selbst Fische, die über keinerlei Verstand verfügten, in Schwärmen mühelos zu einer Ordnung.
Kupferdonner hielt sich abseits, seine Krieger standen in Reihen hinter ihm. Jagender Falke beobachtete ihn und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. Sie hatte die Wahl zwischen Überheblichkeit, Schadenfreude oder Spott.
Zu ihrer Rechten gaben Neuntöters Unterhäuptlinge, Steinknolle und Fliegende Fischreuse, Befehle aus, während Neuntöter selbst die Männer in Suchtrupps einteilte. Er sah nicht wie ein Kriegshäuptling aus, die meisten Frauen waren größer als er, aber Jagender Falke wusste, dass Äußerlichkeiten täuschen konnten. Schwere Lider und volle Wangen ließen ihn schläfrig und träge erscheinen, der breite Mund mit den üppigen Lippen versprach Milde und Güte. Die krummen Beine bewegten sich vielleicht nicht allzu flink, aber sie trugen ihn immer noch, wenn die schnellsten Läufer längst aufgegeben hatten. Mit den allzu langen Armen paddelte er durch die Bucht, ohne einmal innezuhalten. Er betonte auch selbst gern, dass imponierende Körpergröße im Krieg nicht entscheidend sei. Er hatte sich einen Namen gemacht, als er nach Mattaponi geschlichen war und dort ganz allein den Weroanzi und acht seiner Krieger getötet hatte und anschließend, zur Verblüffung seiner Feinde, auf geheimnisvolle Weise in der Nacht verschwunden war. Jeder tat gut daran, solch einen Mann nicht zu unterschätzen.
»Es geht los! Macht euch bereit!«, rief Neuntöter jetzt und deutete mit seinem Bogen auf das Tor in den Palisaden. »Ihr wisst, wonach zu suchen ist! Wahrscheinlich ist sie nur spazieren gegangen, um allein zu sein, aber seid auf der Hut! Achtet auf Verdächtiges!«
Die Krieger liefen mit erhobenen Köpfen durch das Tor und schlugen die Keulen im Takt ihrer Schritte gegen die Bogen.
Belustigt beobachtete Jagender Falke das Schauspiel, das nur für die Gäste aufgeführt wurde. Sie sahen ausdruckslos zu, einigen stand die Langeweile ins Gesicht geschrieben, aber Jagender Falke entging das Glitzern in ihren dunklen Augen nicht. Die Krieger des Grünstein-Clans hatten den Ruf, besonders kampfeslustig zu sein, verdient. Selbst Wasserschlange, der Mamanatowick, vermied Zusammenstöße mit ihnen, obwohl seine Unterhäuptlinge zahlreiche Kriegslisten kannten.
Schwarzer Dorn, Weroanzi von Drei Myrten, stand auf der anderen Seite des Platzes und beobachtete mit verschränkten Armen, wie die Krieger aufbrachen. Die Anspannung, die sich in seinem Gesicht und in seiner Haltung zeigte, weckte die Aufmerksamkeit von Jagender Falke.
Schwarzer Dorn war immer ein schöner Mann gewesen. Er war hoch gewachsen und muskulös und verfügte über eine schnelle Auffassungsgabe und ein ausgezeichnetes Reaktionsvermögen. Drei Myrten lag eine halbe Tagesreise von Flache Perle entfernt an der nächsten größeren Bucht. Im Laufe der Jahre hatten sich die beiden Dörfer aus praktischen und politischen Erwägungen miteinander verbündet. Muschelkamm, Jagender Falkes Tochter, hatte als Drachenknochens Ehefrau dort gelebt.
Die Kiefer von Schwarzer Dorn mahlten; seine Fäuste ballten und entspannten sich in schnellem Rhythmus. Was kümmerte ihn denn ein
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