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Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Titel: Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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aufflammte, war das Opfer verzehrt. Jagender Falke spürte, dass Okeus befriedigt war.
    »Ich habe einen Sturm entfesselt. Furchtbare Dinge kommen auf uns zu, nicht wahr?«, fragte sie den gedrungenen Gott. »Wessen Fehler war es, Okeus? War es meiner?«
    Schauer liefen ihr den Rücken hinab, als sie in die glühenden Augen starrte. Einen winzigen Augenblick lang glaubte sie, Gelächter zu hören - und dann wieder Stille.
    »Verhöhne mich nicht, du niederträchtiger Gott. Ich habe dir in all den Jahren treu gedient.«
    Sie blickte am Gerüst hinauf, zu den in Matten gewickelten Bündeln. »Ich grüße euch, meine alten Freunde«, flüsterte sie und blickte gedankenvoll auf die ausgedörrten Leichen.
    »Also gut, ich habe es getan«, verkündete sie mit barscher Stimme. »Es wird sich erweisen, ob zum Besten des Clans oder nicht.« Sie lehnte sich gegen einen der Pfosten, die vom Alter und Ruß eine honigfarbene Tönung erhalten hatten. »Ich habe etwas Schreckliches getan. Aber es war notwendig, ich hatte keine Wahl. Das solltet ihr wissen. Überhaupt keine Wahl.«
    Sie spürte, wie sich in den Geistern etwas regte und reckte sich. Jemand hatte ihr einst gesagt, dass man in den letzten Augenblicken des Lebens die Worte der Geister vernehmen kann. Aber kein Laut drang an ihre Ohren.
    »Ich habe das Gefühl, dass ich bald dort oben bei euch sein werde. Wir wollen nur noch abwarten und sehen, wer die nächste Weroansqua wird. Eine, die ihre Pflichten dem Clan und ihrer Sippe gegenüber kennt. Ich hoffe nur, sie wird euer aller würdig sein.«
    Weidenstumpf entspannte seinen muskulösen Körper; er glitt leichtfüßig zwischen den Bäumen hindurch und setzte seine Füße ganz behutsam auf den Boden. Als Junge hatte er die Gottesanbeterin beobachtet, jede Bewegung, die sie machte, wenn sie sich anschlich und ihre Beute packte. Er jagte jetzt wie eine Gottesanbeterin, mit sparsamen, doch präzisen Bewegungen.
    Er trug nur einen Lendenschurz und hatte seinen Körper gegen die Kälte eingefettet. Eine Nadel aus Knochen hielt das lange Haar zusammen. Es war zu einem Knoten gebunden und auf der linken Seite des Kopfes festgesteckt Die Beine steckten in Leggings, die Füße in Mokassins. In der linken Hand trug er einen Eschenholzbogen, und mit der rechten hielt er den eingelegten Pfeil an der Sehne schussbereit.
    Dies war offenbar der härteste Tag seines Lebens. Er musste töten, er brauchte es, um zu vergessen, um den dumpfen Schmerz in seiner Brust zu lindern. Solange sie ein Mädchen gewesen war, hatte er es ertragen können, Rote Schlinge nahe zu sein. Aber jetzt war Rote Schlinge eine Frau - und einem Mann versprochen, den Weidenstumpf verachtete.
    Als die andern getanzt und geschmaust und das Frauentum von Rote Schlinge gefeiert hatten und Kupferdonner eingetroffen war, hatte Weidenstumpf gelitten. Dann hatte sich Steinknolle zu ihm gesellt und ihm die lästigste aller Aufgaben übertragen. Dann hatte sich alles in den vorgezeichneten Bahnen entwickelt. Selbst Räuber konnten untereinander Abkommen treffen. Eines Tages würde Steinknolle bezahlen - so wie alle anderen auch bezahlen würden. Von der Gottesanbeterin hatte er schließlich Geduld und unbemerktes Anschleichen gelernt. Am vergangenen Abend, nach dem Tanz von Rote Schlinge, hatte sich sein Leben verändert. An diesem Morgen hatte er die Sache in die eigenen Hände genommen. Was hatte ihn dazu getrieben? Verrat? Rache? Oder die unerwartete Gelegenheit? Aber was auch immer es gewesen war, es spielte keine Rolle mehr. Entscheidend war nur, dass er unbesonnen gehandelt hatte. Später, fassungslos über seine Tat, hatte Weidenstumpf sich lautlos davongemacht und die Stille des Waldes gesucht, um über Vergangenheit und Zukunft nachzudenken.
    Der graue Morgen war zum Jagen wie geschaffen. Die Matte aus Laub war feucht und schluckte jeden Laut. Wäre es kälter gewesen, hätten die von Raureif bedeckten Blätter geraschelt; wäre es trockener gewesen, hätten sie bei jedem Schritt geknistert. Die Nebelschwaden, die der schwache Wind vor sich hertrieb, würden die scharfen Augen des Wildes verwirren und zugleich die Witterung von Weidenstumpf forttragen.
    Zwei Jahre waren vergangen, seit er eines Sommertages aus der Huskanaw-Zeremonie wieder auferstanden war, nachdem der Junge, der er einst gewesen war, in diesem Ritual den Tod erlitten hatte. Es war eine Prüfung gewesen, um seine Kraft und seine Ausdauer zu bestimmen und um festzustellen, wie viel Schmerz er

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