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Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Titel: Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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unschuldig bin oder …«
    Sie unterbrach ihn. »Er wird es dir am Morgen sagen, und wenn er beschließt, deine Unschuld zu beweisen, dann solltest du ausgeruht sein.«
    Ein schwaches Lächeln glitt über seine Lippen. »Erinnerst du dich noch an die Zeit, als du zehn Blätterblüten gesehen hattest?«, fragte er.
    Die Traurigkeit in seiner Stimme zauberte ihr längst vergangene Tage vor Augen; sie hörte sein sorgloses Lachen aus jenen Tagen, sah, wie sein Gesicht bei ihrem Anblick aufleuchtete, wenn sie über Hirschpfade rannten und einander durch den Wald jagten. Eine Welle der Glückseligkeit durchflutete Sonnenmuschel.
    Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und sagte: »Ja, ich erinnere mich.«
    Er hob ihr Kinn, um ihr in die Augen zu sehen, und der Zauber des Augenblicks war vorüber. Verzweiflung zeichnete seine Gesichtszüge. »Es war mir nie bewusst, wie viel du mir bedeutest; ich wusste nur, dass du die Einzige warst, mit der ich reden konnte. Und du bist es immer noch. Ich danke dir. Danke dafür, dass du immer für mich da warst.«
    Sonnenmuschel konnte ihn nur noch verschwommen erkennen. »Ich werde immer für dich da sein.«
    Er beugte sich zu ihr, und einen Augenblick lang glaubte sie, er werde sie küssen, aber er begann zu zittern und ließ sie los. Er trat zurück. »Du … du brauchst nicht über mich zu wachen«, sagte er. »Du bist ebenso müde wie ich. Mir geht es gut.«
    »Dessen möchte ich sicher sein«, antwortete Sonnenmuschel und löste die Kriegskeule von ihrem Gürtel. Sie zog sie unter dem Umhang hervor. »Roll dich jetzt neben dem Feuer in deine Decke. Ich werde ein Auge auf dich haben, von hier aus, wo mich die Schatten unsichtbar machen. Geh jetzt. Du musst gut schlafen, Wilder Fuchs, damit du morgen hellwach bist.«
    Er nahm ihre Hand und drückte sie kurz; dann ging er zum Feuer.
    Nachdem Wilder Fuchs, in seine Decke gekuschelt, begonnen hatte, leise zu schnarchen, hob Jaguar den Kopf, um Sonnenmuschel anzuschauen. Sie sah in den trüben alten Augen Anteilnahme. Für sie?
    Oder für Wilder Fuchs? Oder vielleicht für beide?
    Sie atmete den kühlen Dunst ein, streckte die Füße aus, legte sich die Keule über die Schulter und bereitete sich auf eine lange Nacht vor.
    Neuntöter saß am mittleren Feuer im Langhaus seiner Schwester Rosenknospe. Er trank lauwarmen Tee, der stehen geblieben war. Er war hergekommen, um seinen jungen Neffen Zwei Vögel zu rügen, der seiner Mutter widersprochen hatte. So war es Sitte: Ein Mann erzog die Kinder seiner Schwester, denn sie gehörten zum Clan und zur Familie. Seine eigenen Kinder gehörten seiner Frau Weißer Stern.
    Da sie zum Tellmuschel-Clan gehörte, war es Aufgabe ihres älteren Bruders Halbmond, für die Erziehung und Ausbildung ihrer Kinder zu sorgen.
    Neuntöter hatte den Jungen bei den Schultern gepackt, ihn hingesetzt, ihm finster in die kleinen dunklen Augen geblickt und klargemacht, wie sich ein Mann seines Volkes zu benehmen hatte und wie schlimm er ihn bestrafen würde, falls er sich nicht bessere.
    »Also«, schloss Neuntöter seine Strafpredigt, »sollte ich noch einmal hören, dass du deiner Mutter gegenüber die Stimme erhebst, dann packe ich dich und schicke dich Jaguar. Du hast mich gehört! Der frisst kleine Jungen und verflucht ihre Gebeine, die er zerstampft und herumliegen lässt, wo seine Feinde sie finden. Solche Gebeine sorgen dafür, dass böse Menschen durch die Ohren bluten, bis sie tot sind. Hast du gehört?«
    Zwei Vögel schluckte schwer und nickte ernst, seine Augen waren aus den Höhlen getreten.
    »Sehr dramatisch, findest du nicht?«, hatte Rosenknospe nüchtern gefragt, als der Kleine zu seinem Lieblingsspielzeug, einer Maiskolbenpuppe, geflohen war, in die sichere Obhut seiner älteren Schwester Weißer Otter.
    Rosenknospe war eine kräftige Frau von zweimal zehn und acht Blätterblüten. Im Allgemeinen war ihr Haar zu einem Zopf geflochten, der ihr über den Rücken fiel. Sie hatte ein rundes Gesicht mit einem breiten Mund und einer breiten, geraden Nase. Sie war tüchtig und meisterte das Leben mit einem Sinn für das Praktische, den Neuntöter immer bewundert hatte. Das auffallendste Kennzeichen waren die Augen, sie waren ebenso braun wie Beeren, aber von einer Tiefe, die Neuntöter nie auszuloten fähig gewesen war. Wenn sie ihn anschaute, dann mit einem wissenden Blick, als hätte sie den Einblick in die Dinge des Lebens, der Neuntöter fehlte. Es war zum Verrücktwerden: Wenn er sie zu irgendetwas

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