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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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zwei nächsten Finger waren geschwollen und dunkelviolett angelaufen. Zwei Glieder seines kleinen Fingers waren bereits pechschwarz. Und die Fingerspitzen seiner linken Hand waren ebenfalls alle geschwollen.
    Zaunkönig hockte auf den Knien im hinteren Teil des Kanus und paddelte aus Leibeskräften. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Seit vier Tagen schon trieb sie das Kanu vorwärts, das wie ein Pfeil an den Ufern des Flusses entlangschoss und einen silbernen Wasserkeil hinter sich her zog. In gleichmäßigem Rhythmus tauchte sie das Paddel auf der rechten Seite ein, dann auf der linken. Ihr Zopf baumelte über ihrer linken Schulter. Ihr Gesicht sah aus wie das einer Holzskulptur. Braun und scharf geschnitten, mit großen, dunklen Augen, wie die eines Flughörnchens.
    Aber ihre Seele war die eines Wolfs.
    Manchmal sah ihn die Wölfin aus ihren Augen an, und dann roch die Luft plötzlich so, als renne er mit offenem Mund einen Hügel herab, den Geschmack der Freiheit auf der Zunge. Wenn das geschah, schmeckte die ganze Welt wie poliertes Kupfer, metallisch und sauer.
    Er hatte noch nie jemanden mit einer Wolfsseele getroffen.
    Polterer atmetete tief aus, drehte den Kopf nach rechts und beobachtete das bewaldete Ufer, das so schnell an ihnen vorbeihuschte. Hohe Buchen und Ahornbäume streckten Großvater Tagbringer ihre Arme entgegen, als entböten sie ihm ihre Morgengabe. Seit Sonnenaufgang hatte er vier Hirsche am Ufer des Sees Wasser trinken sehen.
    Windmutter zauste Polterers Haar, sang ihm mit ihrer leisen, sanften Stimme etwas vor, lullte ihn in den Schlaf.
    Er gähnte und blinzelte Zaunkönig an.
    Sie hob gerade das Paddel auf die andere Seite und lächelte ihm zu.
    Sein Herz, von Blut durchströmt, schwoll an und schmerzte. Seine Kehle zog sich zusammen. Er schluckte und lächelte zurück.

16. Kapitel
    Zaunkönigs Schatten huschte über die Wand des Unterstands, als sie geduckt zur Feuerstelle schlich und nach der Suppe sah, die in einem Kessel über den kleinen Flammen dampfte. Der Duft nach gebratenem Truthahnfleisch und Zwiebeln stieg ihr angenehm in die Nase.
    »Die Suppe kocht noch nicht, Polterer, aber es dauert nicht mehr lang.«
    Polterer saß, eingehüllt in ihren Fuchsumhang, an den dicken Stamm einer Eiche gelehnt. Sein kinnlanges Haar klebte ihm an den Backen und umrahmte sein hübsches rundes Gesicht. Der Blick seiner schwarzen Augen haftete unentwegt auf ihr. Seit sie ihn in ihren Umhang gewickelt und vom Lost Hill gezerrt hatte, sah er sie schon auf diese Weise an. Da er nicht in der Lage gewesen war, sich auf den Beinen zu halten, geschweige denn zu laufen, war ihr keine andere Wahl geblieben. Außerdem war ihr bisher immer warm gewesen. Sie hatte vorsorglich ihren Hirschlederumhang eingepackt, weil sie dachte, dass Polterer ihn brauchen würde. Stattdessen trug jetzt sie ihn.
    Polterer zitterte noch immer wie Espenlaub, und das bereitete Zaunkönig große Sorgen. Sie hatte Leute sterben sehen, die zu lange der Kälte ausgesetzt waren. Obwohl man sie gefunden und so schnell wie möglich ins Langhaus gebracht hatte, waren sie eingeschlafen und nie wieder aufgewacht. Doch Polterer schien allmählich zu Kräften zu kommen. Er war immerhin fähig, seine Teeschale selbständig hochheben. Zwar konnte er sie nicht lange halten und musste sie nach einem Schluck wieder absetzen, aber als sie ihm das erste Mal die Schale gereicht hatte, war er nicht in der Lage gewesen, seine Finger zu bewegen. Die hölzerne Schale stand jetzt neben ihm auf dem Boden.
    »Möchtest du noch mehr Tee?«, fragte Zaunkönig.
    »Nein, ich…« Er warf einen Blick in die Schale. »Ich habe noch welchen.«
    Zaunkönig hatte ihren Beutel neben dem Stapel Feuerholz abgelegt. Sie zog ihn heran, kramte ihren Holzlöffel heraus und rührte damit die Suppe um. Vorsorglich hatte sie genug Essen für fünf oder sechs Nächte eingepackt. Danach würden sie jagen müssen.
    Sie hatte keine Ahnung, was sie tun oder wohin sie gehen sollten. Sie wusste nur, dass es unmöglich war, in ihr Dorf zurückzukehren.
    Einst, vor vielen Wintern, hatte ein Mädchen, Felsbogen nannte man sie, eine der Heiligen Masken aus dem Versammlungshaus gestohlen und war damit davongelaufen. Zaunkönig war damals erst sechs Winter alt gewesen, aber sie hatte gehört, dass Felsbogen die Maske an eine heilige Frau in einem Bären-Schildkröten-Dorf verkaufen wollte. Der damalige Kriegsführer hatte ihre Spuren verfolgt und das schreiende Mädchen ins

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