Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken
Wandererdorf zurückgebracht. Und anschließend hatte Anführerin Siebenstern befohlen, Felsbogen zur Strafe für ihr Vergehen bei lebendigem Leib zu verbrennen. Ein Falschgesicht-Kind zu stehlen war viel schlimmer als eine heilige Maske zu entwenden. Abwesend rührte Zaunkönig in der Suppe, die leise vor sich hin blubberte.
Als sie richtig sprudelte, legte sie den Löffel beiseite, um das Päckchen mit Maismehl aus ihrem Beutel zu holen. Nachdem sie eine Hand voll Mehl in die Suppe gerührt hatte, um sie anzudicken, wickelte sie das Päckchen sorgfältig wieder ein. Sie konnten es sich nicht leisten, auch nur ein Körnchen Mais zu verschwenden.
»Gleich ist die Suppe fertig, Polterer«, sagte sie und ließ sich im Schneidersitz vor dem Feuer nieder. In ihrem kleinen Unterschlupf wurde es allmählich wärmer, und Zaunkönig hoffte, dass der Schnee, der auf dem provisorischen Dach aus Reisig lag, nicht schmolz und ihr Versteck verriet. Sie hatte absichtlich nur ein kleines Feuer entfacht - eigentlich hatte sie ganz darauf verzichten wollen, aber Polterer brauchte dringend Wärme.
Es schien, als habe Großmutter Erde den Unterschlupf eigens für sie gebaut. Im Lauf des langen Lebens dieser Eiche waren immer wieder Äste abgestorben, heruntergefallen und hatten sich um den Stamm herum aufgetürmt. Windengewächse waren daran emporgeklettert, hatten sich um die Äste und Zweige geschlungen und so eine Art Höhle geschaffen, die beinahe zwei Körperlängen im Durchmesser maß. Die Tiere hatten sie zuerst entdeckt. Zaunkönig war auf der Suche nach einem windgeschützten Platz gewesen, als sie ein Reh erspähte, das es sich in diesem Unterschlupf bequem gemacht hatte. Sie musste nur noch ein paar Äste suchen, um den Eingang zu verschließen, und ein Loch ins Dach brechen, damit der Rauch abziehen konnte. Das Innere hatten die Waldtiere bereits wohnlich gemacht. Die spitzen Äste waren abgebrochen, der Boden fest getrampelt. Zaunkönig nahm zwei Holzschüsseln aus ihrem Beutel und den zweiten Löffel und stellte sie vor sich auf den Boden.
Nachdem sie Suppe in beide Schüsseln gefüllt hatte, lehnte sie sich neben Polterer an den Eichenstamm. Die Rinde fühlte sich selbst durch ihren Umhang noch kalt an. Ihre eigene Schüssel stellte sie vor sich hin und reichte dem Jungen die seine.
»Meinst du, du kannst sie selbst halten?«
Er griff danach, hakte den Daumen um den Rand und stützte sie von unten mit seinen geschwollenen Fingern. Die Schüssel wackelte, der Holzlöffel schlug klappernd gegen den Schüsselrand. Vorsichtig ließ er die Schüssel in den Schoß sinken.
Zaunkönig betrachtete die Schüssel und seinen gesenkten Kopf. »Brauchst du Hilfe, Polterer?« Als er nicht antwortete, kniete sich Zaunkönig vor ihn hin, nahm ihm die Schüssel ab, schöpfte einen Löffel Suppe, blies darüber und hielt ihm dann den Löffel an die Lippen. »Sei vorsichtig, sie ist heiß.« Polterer schlürfte den Löffel leer, und Zaunkönig füllte ihn erneut.
Mit vollen Backen murmelte er: »Hm, die Suppe ist gut.«
Er aß zwei weitere Löffel.
Zaunkönig lächelte. »Meine Mutter hat mir gezeigt, wie man sie kocht. Im Herbst gibt sie immer Sonnenblumenkerne, Walnüsse, Stachelbeeren und Rosinen dazu. Sie hat mir eine Menge nützliche Dinge beigebracht.«
Polterers glänzende schwarze Augen beobachteten sie unablässig. Manchmal, wie jetzt zum Beispiel, hatte sie das Gefühl, als könnte er durch ihre Haut und Muskeln direkt in ihre Seelen schauen. Das verursachte ihr eine Gänsehaut.
»Meine Mutter hat mir auch vieles beigebracht«, bemerkte er leise.
»Sie war eine Heilerin, nicht wahr? Das hat mir jemand erzählt.«
Polterer nickte und aß noch einen Löffel Suppe. »Sie ist eine große Heilerin. Hast du gewusst, dass Weidenwurzeln gegen Husten helfen? Man muss nur die dicke Rinde der gefrorenen Wurzel zerstampfen und dann lange kochen.«
Zaunkönig legte die Stirn in Falten. »Nein, das kenne ich nicht. Wir trinken einen Tee aus Zedernbeeren gegen Husten.«
»Der Saft von Sumpfweiden, in die Nasenlöcher geträufelt, vertreibt Kopfschmerzen«, fuhr er fort, »und wenn du Schierlingsamen mit Ahornsirup in kaltes Wasser gibst und eine Woche stehen lässt, wird daraus ein köstliches Bier. Man kann es auch dazu verwenden, Wunden auszuwaschen. Dann verheilen sie schneller.«
»Und was ist mit Verbrennungen?« Sie fütterte ihm noch einen Löffel Suppe. »Mein Volk hat bisher noch nicht die richtige Pflanze dafür
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