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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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würde sie nicht wundern, wenn diese Geister heute Nacht aus dem Wald geschlichen kämen und die Seelen von ihnen allen durch ihre Ohren einsaugen würden.
    Sie fixierte Springender Dachs mit einem wütenden Blick.
    Anscheinend hatte der Kriegsführer ihren Blick gespürt, denn er fuhr herum und starrte nicht weniger wütend zurück. Mit jedem Tag, der verstrich, gelüstete es sie mehr, diesen Mann zu töten. Und heute Abend vermochte sie diesem Drang kaum noch zu widerstehen.
    Blauer Rabe lag zusammengekrümmt unter ihrem Büffelmantel. Seine blutigen Finger zu spüren, die ihre Hand umklammert hatten, war wie eine Lanze gewesen, die sich in ihr Herz bohrte. Elchgeweih wandte den Blick ab und sah hinüber zu dem Raumstamm, an dem Kleiner Zaunkönig kauerte, an Händen und Füßen gefesselt. Kein Laut kam über ihre Lippen, doch Elchgeweih gewahrte die Schluchzer, die ihren kleinen, in sich zusammengesunkenen Körper schüttelten.
    Sie riss mit den Zähnen ein Stück Entenfleisch ab und kaute abwesend, während ihre Gedanken bei dem Mädchen weilten. mit der Entführung des verruchten Jungen hatte sie den Menschen dem Tod geweiht, den sie über alles liebte. Wie würde sie bloß mit dem Bewusstsein weiterleben können, den Tod ihres Onkels verschuldet zu haben? Denn trotz der Versicherung von Blauer Rabe, dass sie nicht dafür verantwortlich war, wusste es Kleiner Zaunkönig mit Sicherheit besser.
    Ehrwürdige Ahnen, was für eine Bürde für ein Mädchen, das gerade einmal zwölf Winter zählte! Das polternde Lachen eines der Krieger ließ Elchgeweih hochblicken. Der auf dem Bären reitet und Schildmacher kugelten in einem spielerischen Ringkampf über den Boden, beobachtet von den grinsenden Gesichtern ihrer Kameraden.
    Elchgeweih nagte die letzten Heischfetzen von ihrer Ente und warf die Reste anschließend ins Feuer. Flammen züngelten an dem Gerippe hoch und verbrannten die Knochen; eine schwarze, stinkende Rauchwolke stieg in die Luft.
    Der auf dem Bären reitet, ein Bewohner von Pfauenauges Langhaus, war dabei gewesen, als Moosschnabel und Schädelkappe starben. Und er hasste Blauer Rabe dafür, dass er das FalschgesichtKind verteidigt hatte. Aber kein Oberhaupt wurde von allen Mitgliedern seines Klans verehrt. Diese Männer fällten ihre Entscheidungen für gewöhnlich so, dass sie dem überwiegenden Teil ihre Volkes zum Vorteil gereichten, und das bedeutete zwangsläufig, dass es immer ein paar Leute gab, die unzufrieden waren und sich benachteiligt fühlten.
    Dennoch… Elchgeweih konnte nicht begreifen, dass es Leute gab, die sich in einer Nacht wie dieser amüsieren konnten und verachtete Der auf dem Bären reitet und seine Freunde für ihr albernes Gerangel.
    Eichel knuffte Elchgeweih sanft in die Seite und flüsterte: »Bist du in Ordnung?«
    Sie schüttelte den Kopf. Nachdem ihr dicker Mantel über Blauer Rabe ausgebreitet lag, hatte sie sich das dünne Rehlederhemd übergezogen, das sie in ihrem Bündel mit sich führte P war ein hübsches Hemd, knielang und mit gelben Stachelschweinborsten bestickt, aber für diese Temperaturen viel zu dünn. Seit über einer Hand Zeit schon fror sie und würde bald am ganzen Körper zittern. Sie wusste, dass sie nur aufstehen, zu ihrem Nachtlager gehen und sich eine ihrer Felldecken um die Schultern zu legen brauchte, doch sie setzte sich ganz bewusst der Kälte und dem Schnee aus. In einer Nacht, die erfüllt war vom Tod, tat es gut zu spüren, dass man noch am Leben war.
    »Blauer Rabe hat sich schon eine ganze Zeit lang nicht bewegt«, bemerkte Eichel. »Wahrscheinlich ist er vor Schmerzen ohnmächtig geworden.«
    »Hoffentlich hast du Recht.«
    »Was flüstert ihr dort drüben?«, verlangte Springender Dachs zu wissen.
    Elchgeweih hob den Kopf und sah ihren Kriegsführer an. Vor wenigen Tagen noch war er ein gut aussehender junger Mann gewesen - aber jetzt nicht mehr. Sein einst glänzendes schwarzes Haar klebte ihm in verfilzten Strähnen an den Wangen. Seine einst selbstbewussten Augen blickten jetzt misstrauisch und furchtsam umher wie die eines waidwunden Tieres.
    Selbst sein wohlgeformter Unterkiefer wirkte auf einmal so kantig, als ob er ständig die Zähne zusammenbiss.
    An einem Stück Entenfleisch vorbei nuschelte Eichel: »Ich habe nur gesagt, dass Blauer Rabe anscheinend vor Schmerzen ohnmächtig geworden ist, Kriegsführer. Er hat sich schon länger nicht mehr bewegt.«
    »Dann geh und weck ihn auf!«, befahl Springender Dachs.

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