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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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verdichtet sich zu einem tiefen dunklen Loch im gesicht der Welt.
    Es ist der klaffende Schlund des Vergessens.
    Darin sehe ich Millionen ausgemergelte, leidgeprüfte Gesichter, die um Hilfe rufen…
4.Kapitel
    »Blauer Rabe? Blauer Rabe, sie sind hier!«
    Straußenfeder schlug das Türleder des Langhauses zur Seite und spähte hinein. Der Junge mit dem breiten, flächigen Gesicht war zehn Winter alt. Er fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und strich sich mit seiner schmutzigen Hand das schulterlange schwarze Haar aus den Augen. »Sie sind gerade angekommen! Siebenstern sagt, du sollst dich beeilen. Aber nur du! Niemand sonst. Sie bringen das Falschgesicht-Kind zum Versammlungshaus!«
    Im Langhaus wurde es still.
    Sie hatten darauf gewartet. Die meisten von ihnen wie kleine Kinder, die sich auf ein kostbares Geschenk der Geisterwelt freuten, einige mit bangen Mienen, als ob sie die schreckliche Strafe fürchteten, die sie für das begangene Verbrechen verdienten. Blauer Rabe ließ den Blick durch das hundert Hand lange Haus schweifen und studierte die angespannten Gesichter seiner Angehörigen. Er hatte sich vehement gegen diesen Überfall ausgesprochen. Das wussten sie. Alle vierzig Bewohner des Hauses saßen da wie Holzfiguren, die Hornlöffel mit Maisbrei schwebten reglos vor ihren offenen Mündern.
    »Lass mich rasch meine Sachen zusammenpacken.« Blauer Rabe stellte seine Schale mit Fichtennadeltee ab, die er sich gerade eingeschenkt hatte. Einundvierzig Winter zählte er und war sehr groß; das lange schwarze Haar, das sein ovales Gesicht umrahmte, begann zu ergrauen. Er griff nach seinem Umhang.
    Seine alte Mutter und seine junge Nichte saßen ihm auf der anderen Seite der Feuerstelle gegenüber. Seine Mutter, Frost-auf-den-Weiden, hielt den Kopf gesenkt. Ihr Gesicht zeigte keinen Ausdruck, ihr Atem ging flach. Die dreieckigen gehämmerten Kupferplättchen, die den Ausschnitt ihres Lederkleides zierten, schimmerten bei jedem ihrer kurzen Atemzüge.
    Kleiner Zaunkönig, seine Nichte, starrte ihn aus großen Augen an. Zwölf Winter war sie alt, und ihr schmales, eckiges Gesicht sah aus wie aus feinstem goldbraunem Holz geschnitzt. Das lange, glänzende Haar fiel ihr in einem dicken Zopf über die linke Schulter. Ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder waren bei einem Kanu-Unfall vor acht Monden ums Leben gekommen. Ihre Leichen waren nie zum Vorschein gekommen. Zaunkönig hatte sich seit dem Unfall verändert, war ungehorsam und aufsässig geworden. Mindestens einmal in jedem Lauf des Mondes zettelte sie einen rücksichtslosen Faustkampf an. Schlimmer noch und sicherlich auch viel gefährlicher - Zaunkönig kannte absolut keine Angst. Sie würde einen Wolf bis in den tiefsten Wald verfolgen, nur um sein Fell glänzen zu sehen. Blauer Rabe wusste nie, was dieses schlaksige Mädchen als nächstes sagen oder tun würde. Zaunkönig stellte ihre Teeschale auf den Boden, beugte sich vor und wisperte mit leiser Stimme: »Ist das Falschgesicht-Kind hier? Wirklich?«
    Blauer Rabe warf sich den Biberpelzumhang über die Schultern und entgegnete mit gehobenen Brauen: »Hast du etwa an den Fähigkeiten deines Verwandten als Kriegsführer gezweifelt, Zaunkönig?«
    »Ja«, erwiderte sie so ungeniert, dass Blauer Rabe sich ein Grinsen verbeißen musste. »Und eigentlich dachte ich immer, dieses Kind besäße soviel Macht, dass es sich niemals gefangen nehmen ließe«, setzte sie hinzu. »Darf ich den Jungen sehen, Onkel? Nur anschauen? Ich muss ihn nicht anfassen, ich möchte nur …«
    »Nein!« Straußenfeder ließ den Türvorhang fallen, stürmte ins Haus wie ein wilder Bär und brüllte: »Anführerin Siebenstern hat ausdrücklich gesagt, dass nur Blauer Rabe kommen soll!« Blauer Rabe tätschelte seiner Nichte versöhnlich den Kopf. »Ich dachte, du wolltest heute Gauner besuchen?«
    »Oh, ja, das muss ich. Ich habe es ihm versprochen.« Sie ließ ihre Hand sinken und schloss sie um die geknotete Rohlederschnur, die an ihrem geflochtenen Gürtel hing. Sie knetete das Spielzeug, als tröstete sie das. »Aber Gauner wird nichts dagegen haben, wenn ich ihn besuche, nachdem ich mir das Kind angeschaut habe.«
    »Gewiss, aber nicht jetzt, Zaunkönig. Später.«
    Das Mädchen funkelte Straußenfeder beleidigt an, und der Bursche grinste.
    »Und lass dir ja nicht einfallen, hinter mir her zu schleichen, Zaunkönig«, warnte sie Blauer Rabe. Zaunkönig klapperte unschuldig mit den Augenlidern. »Aber nie im

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