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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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Abgesehen von seinen kurzen krummen Armen und Beinen hatte der Junge dichtes schwarzes, auf Kinnlänge geschnittenes Haar und ein hübsches, rundes Gesicht. In seinen dunklen Augen glitzerten Tränen. Aus einer Wunde am linken Oberarm sickerte Blut. Diese Wunde hatte ihm Siebenstern beigebracht, dachte Blauer Rabe und nahm zwei weitere Sprossen. Die Kleider des Jungen waren nicht, wie er vorher angenommen hatte, mit Quarzkristallen verziert, sondern mit sorgfältig zugeschliffenen Muschelstücken. Zwei der größeren runden Scheiben zierten Abbildungen von Donnervogel und der Fallenden Frau. Der Anhänger an seiner kupfernen Halskette war so groß, dass er beinahe den Medizinbeutel verdeckte, den er um den Hals trug. Ihn zierte das groteske Bild eines verkrüppelten, entwurzelten Baums.
    Blauer Rabe hielt an der Verbindung zwischen Wand und Dach inne. Der Junge stand acht Hand von ihm entfernt zu seiner Linken, den Rücken gegen die Dachschräge gedrückt, die gefesselten Füße auf dem Querbalken. Lag es an der seltsamen Haltung, dass Siebenstern geglaubt hatte, er sei hinauf »geflogen«? Der Junge hatte sich mit den Armen nach oben gehangelt, während seine nutzlosen Beine herabbaumelten. Er klammerte sich so fest an den Dachbalken, dass die Knöchel an seinen Stummelfingern weiß hervortraten.
    Blauer Rabe streckte den Arm nach ihm aus. »Komm, nimm meine Hand. Bitte. Hab keine Angst. Ich lasse dich nicht fallen.«
    Der Junge schüttelte den Kopf.
    Blauer Rabe streckte den Arm noch weiter nach ihm aus.
    »Greif nach unten. Siehst du meine Hand? Sie ist ganz nahe.«
    Verzweifelt huschte der Blick des Jungen durch das Versammlungshaus, offenbar auf der Suche nach einem Weg in die Freiheit… und machte sich an einem der Rauchabzugslöcher im Dach fest. Panik erhitzte Blauer Rabes Blut. Er würde in den sicheren Tod stürzen, wenn er den Sprung wagte. »Das Loch ist zu eng für dich«, warnte er ihn. »Bitte, versuch es nicht!«
    Der Blick des Falschgesicht-Kindes blieb an dem Abzugsloch haften, als kalkulierte es das Risiko eines Sprungs.
    »Und… draußen stehen unsere Krieger. Selbst wenn du es schaffen solltest, würden sie dich spätestens dann erwischen, wenn du an der Hauswand herabkletterst.«
    Das Falschgesicht-Kind ergriff einen der Querbalken und schien sich zum Sprung bereit zu machen. Blauer Rabe schüttelte sich eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht. Er musste den Jungen weiter in ein Gespräch verwickeln, um ihn von seinem Vorhaben abzulenken. »Junge, sag mir, wie heißt du? Wie ruft dich deine Familie? Hast du einen Jungennamen?«
    Das Falschgesicht-Kind antwortete nicht.
    »Als ich ein Junge war«, fuhr Blauer Rabe unbeirrt fort, »da hatte ich einen besonderen Namen. Meine Eltern nannten mich Tanzender Fuß, weil ich ständig auf einem Bein herumgewirbelt bin. Sie sagten, ich erinnere sie an ein verrücktes, einbeiniges Waldhuhn.« Die Erinnerung daran zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. »Die anderen Kinder machten immer gackernde Geräusche, wenn sie mich sahen. Hast du auch so einen Namen?«
    Zuerst beantwortete Schweigen seine Frage, dann kam ein fast unhörbares »P-Polterer«. »Polterer? Das ist ein lautmalerischer Name. Den habe ich noch nie gehört. Warum hat deine Mutter dich so genannt? Hat sie es dir erzählt?«
    Polterer senkte den Kopf, und Tränen fielen aus seinen Augen auf den Lehmboden des Versammlungshauses. Winzige Staubwölkchen wirbelten auf, die sich spiralförmig nach oben schraubten wie ein Tornado im Sonnenlicht. »Ich liebe Echos.«
    Blauer Rabe lächelte. »Ich kenne eine wunderschöne Schlucht, wo die Echos vier- und fünfmal hin und her fliegen. Als Junge bin ich oft dorthin gegangen, um mit ihnen zu reden. Würde dir das auch Freude machen?« Er streckte noch einmal die Hand aus und beugte sich so weit wie möglich zu dem Jungen hin. »Ich würde dir die Schlucht gern einmal zeigen. Du wirst überrascht sein, was für Stimmen du dort hörst. Jeder Geist hat eine ganz eigene Stimmlage, wie die unterschiedlichen Töne, die du erzeugen kannst, indem du die Finger über den Löchern einer Röte bewegst.« Polterer biss sich auf die Unterlippe. Er überlegte lange, dann aber schob er Blauer Rabe zögernd seine gefesselten Füße entgegen.
    »Gut. Ja, so ist es gut. Schau nicht nach unten.«
    Der Junge näherte sich Handbreit um Handbreit. Sein missgestalteter Körper zitterte dabei wie Espenlaub.
    »Hab keine Angst. Du machst das sehr gut. Ich kann dich

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