Voyeur
die Geschichte zu glauben.
«Ja. Sie sind bereits da gewesen, aber sie waren anscheinend nicht besonders hilfreich. Er möchte, dass ich komme. Er besaß
eine recht schöne Sammlung Aquarelle, von denen die meisten weg sind. Noch mehr bedrückt ihn aber, dass die Bilder, die
zurückgelassen wurden, beschädigt sind. Er möchte, dass ich schaue, ob man sie retten kann. Du kannst verstehen, dass
ich hinmuss, oder?»
«Natürlich.» Zeppo nickte verständnisvoll.
«Müssen Sie sofort los?», fragte Anna. «Kann das nicht bis morgen warten?»
«Na ja, wahrscheinlich schon, aber ich glaube, er braucht jemanden zum Reden. Er lebt allein, und es muss ein ganz schöner
Schock für ihn sein.» Obwohl ich hoffte, dass Anna keine weiteren Fragen stellte, war ich geschmeichelt. Offenbar wollte
sie, dass ich blieb.
«Wie kann man nur so etwas tun?», meinte sie. «Es ist schon schlimm genug, etwas zu stehlen, aber auch noch das zu zerstören,
was man dalässt …» Sie schüttelte den Kopf.
«Widerlich», pflichtete Zeppo ihr bei. «Kannst du zum Hauptgang bleiben, oder musst du gleich los?»
Ich schaute auf meine Uhr. Die Zeiger und Ziffern bildeten einen Code, der mir nichts sagte. Jetzt, wo der Moment gekommen
war, war die Zeit unwichtig. «Ich glaube, ich fahre lieber gleich. Ich habe ihm gesagt, dass ich in einer Stunde da bin,
und er wohnt ziemlich weit draußen.» Für einen kurzen Moment kam Panik in mir auf. Mein Kopf war leer, und ich hatte Angst,
dass mich Anna fragte, wo genau er wohnte. Aber das tat sie nicht.
|350| «Ich hoffe nur, dass die Polizei die Täter kriegt», sagte sie. «Haben sie Fingerabdrücke gefunden?»
«Das hat er nicht gesagt.» Ich stand auf, um weiteren Fragen zuvorzukommen. «Ich gehe lieber. Danke für das Essen, Zeppo.
Tut mir leid, dass ich so plötzlich losmuss.»
Er stand auf. «Schon in Ordnung. Ich bringe dich zur Tür.»
Anna wollte auch aufstehen. «Nein, schon gut», sagte ich schnell. «Bleiben Sie sitzen. Ich habe für genug Unruhe gesorgt.»
Ich beugte mich hinab und küsste sie auf die Wangen. Ihre Haut fühlte sich warm und weich an. «Noch einen schönen Abend.»
Sie verabschiedete sich, und ich folgte Zeppo in den Flur. «Spielen wir den treuen Paladin, ja?», murmelte er. Dann öffnete
er die Wohnungstür einen Spalt und sagte mit erhobener Stimme: «Tschüs, Donald. Ich hoffe, dein Freund bekommt seine Sachen
zurück.»
«Ich auch. Entschuldige nochmal.»
«Mach dir deswegen keine Gedanken. Wir sprechen uns später. Tschüs.»
«Mach’s gut.»
Zeppo legte einen Finger an die Lippen und schloss betont laut die Tür. Dann folgte ich ihm leise den Flur zurück. Bevor wir
zum Wohnzimmer kamen, schlüpfte ich in eine andere offenstehende Tür, und Zeppo machte sie schnell zu.
Ich legte ein Ohr gegen das Holz. «Das ist schade», hörte ich Zeppo sagen. Dann schloss er die Wohnzimmertür. Ich lauschte
noch einen Moment, konnte aber nur noch ein undeutliches Gemurmel hören.
Zum ersten Mal an diesem Abend entspannte ich mich. Ich |351| schaute mich in dem Zimmer um. Da eine Stoffjalousie das einzige Fenster verdeckte, war es schummrig. Vor der Wand wartete
ein Stuhl. Daneben war ein niedriger Tisch, auf dem ein Glas, eine Karaffe mit Wasser und eine Flasche Brandy standen. Außerdem
lagen dort eine kleine Taschenlampe und ein Gegenstand, den ich zuerst nicht erkannte. Als ich näher ging, sah ich, dass
es eine Plastikflasche mit breitem Hals war, wie sie Patienten im Krankenhaus benutzen, um sich zu erleichtern. Ich war
beeindruckt von Zeppos weiser Voraussicht. Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht. Doch dann sah ich den Zettel, der darunterlag.
«Vielleicht kannst du das gebrauchen. Die Taschentücher liegen auf der Kommode» stand darauf. Als mir klarwurde, was er meinte,
legte ich die Flasche wütend wieder weg.
Ich setzte mich auf den Stuhl und untersuchte die Wand vor mir. In ihr befand sich ein Loch, das mehrere Zentimeter tief
und groß genug war, um meine Stirn hineinzulegen, wenn ich mich vorbeugte. Es wurde durch eine dünne Schicht aus Putz und
Holzleisten abgeschlossen, in die ein weiteres, schmaleres Loch gebohrt worden war. Es sah aus wie ein Miniaturbriefschlitz.
Als ich hindurchspähte, konnte ich im Dämmerlicht kaum etwas erkennen. Zufrieden, dass alles so war, wie es sein sollte,
lehnte ich mich zurück und schenkte mir einen Brandy ein.
Abgesehen von meiner kleinen Nervenkrise war
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