VT03 - Tod in den Wolken
jung, gesund und verliebt – wieder einmal: Naakiti, eine wunderschöne Äthiopierin mit olivfarbenen Augen. Ein versonnenes Lächeln huschte über Pilatres Gesicht, als er an sie dachte. Sie war etwas Besonderes!
Natürlich umgaben ihn tagtäglich die schönsten Frauen des Landes. Seine Frauen! Er liebte sie alle und er war stolz darauf, jede Einzelne bei ihren Namen nennen zu können. Nicht nur ihre, sondern auch die Namen seiner einhundertachtundneunzig Kinder. Sein Gedächtnis war formidable! Sein Geist in jeder Sekunde hellwach und genial. Welcher Mann in seinem Alter konnte das von sich behaupten? Er war dreiundsechzig Jahre alt und mit dem Aussehen eines Dreißigjährigen gesegnet.
Seit er in Afra gelandet war, alterte er um keinen Tag! Warum das so war, wusste er nicht. Genauso wenig wusste er, wie er hierher gekommen war: Über dem Ärmelkanal war er bei einem waghalsigen Flug mit einem neuen Luftschiff in ein luftflimmerndes Naturphänomen geraten, hatte ihm zu entkommen versucht, seinen Rand gestreift – und im nächsten Augenblick hatte er sich im Dschungel von Afrika wieder gefunden.
Eines bizarr veränderten Afrika! Zwar hatte er das ferne Land nie zuvor besucht, kannte aber die Berichte der Forschungsreisenden. Erst zweifelte er daran, überhaupt noch auf dem Planeten Erde zu sein. Später wurde ihm klar, dass er nicht nur durch den Raum, sondern auch durch die Zeit gereist sein musste.
Er machte sich schon lange keine Gedanken mehr darüber. Genoss sein Leben in vollen Zügen, als könnte der wundersame Traum jeden Augenblick zu Ende sein. Hielt immer wieder Ausschau nach dem blau schimmernden Wirbel, der ihn zurückholen würde ins Frankreich des Jahres 1785.
De Rozier nippte an dem schweren Kristallkelch. Seine Freude war derzeit getrübt: Vor Wochen war eine der Kuppeln des Kilmaaros explodiert, und seine Feuerbrunst hatte sich über weite Teile des Landes ergossen. Für die Masaaii war es mehr als ein Vulkanausbruch. Der Kilmaaro war ihr Götterberg. Ngaai, der große Schöpfer sprach aus ihm…
Eine tiefe Falte durchfurchte Pilatres Stirn: Er sollte nicht hier sein, sondern in den Provinzen um den Kilmaaro nach dem Rechten sehen. Aber was sollte er machen? Er konnte sich ja nicht zweiteilen. Erst musste die Bestie erledigt werden!
Der Blick seiner grünen Augen wanderte hinüber zum Dschungel. Dort waren die Rufe unterschiedlichster Tiere zu hören, vereinigten sich zu einem wilden Konzert, schwollen an zu einem Stakkato – und mit einem Mal wurde es still. Der Kaiser heftete seinen Blick auf Kerim.
Der Körper des Spurenlesers streckte sich. Langsam begann er rhythmisch auf einer Stelle zu springen. Die Jäger neben dem Kaiser taten es ihm gleich. Dabei stimmten sie ein monotones Summen an.
Pilatre de Rozier wusste, was das bedeutete: Die Masaaii bereiteten sich auf einen Kampf vor. Er stand auf.
Jetzt hob Kerim seinen Speer und stieß einen kehligen Laut aus. Er drehte sich zu den Wartenden und lief ihnen schreiend entgegen. »Der Dämon ist im Lager! Der Dämon ist im Lager!«
Dem Kaiser glitt das Glas aus den Händen. Der Kelch zersprang auf dem Tisch. Wie Blut breitete sich der rote Wein auf dem hellen Tuch aus.
Auch wenn seinem gesunden Menschenverstand nicht klar war, wie Kerim diese Information erhalten hatte, wusste de Rozier doch, dass sie richtig war.
Mit den Straußen würden sie drei Stunden bis zum Basislager brauchen. »Mon dieu!«, flüsterte er. »Naakiti!« Seine Diener sahen ihn hilflos an. Er beachtete sie nicht und lief los. Seine geliebte Naakiti! Warum nur hatte er sie nicht in der Wolkenstadt gelassen?
Die Jäger tanzten und summten. Die Strauße stoben aus dem Gras. Kerim war plötzlich an seiner Seite. »Er ist schon im Lager, Ambaasa! Er ist schon im Lager!«
***
Wimereux-à-l’Hauteur
Leguma tänzelte vor Schüsseln, Töpfen und Platten. Er zerdrückte eine Limettenhälfte über die selbst hergestellte Linsenpaste und warf die ausgepresste Frucht in die Luft. »Motzger, morgen ist unser großer Tag!« Leguma drehte sich einmal im Kreis. Gekonnt fing er die Limettenschale wieder auf.
Motzger bellte, sprang hoch und schnappte das Ding aus der Hand seines Herrchens. Nach dem ersten Biss winselte er erbärmlich. Sein bernsteinfarbenes Fell sträubte sich und die grüne Schale fiel ihm aus dem Maul. Aus großen braunen Augen schaute er Leguma vorwurfsvoll an.
Der Wissenschaftler lachte. Er griff in eine Schüssel mit Datteln und Feigen. »Hier, mein
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