VT03 - Tod in den Wolken
Nabuu auf. »Die Akademie und die Bibliothek befinden sich auf der anderen Seite des Rings. Auch die Wohnhäuser der Gelehrten und Studenten.«
Nabuu machte große Augen. »Wie viele Menschen leben denn hier?«, fragte er.
Rönee antwortete ihm nicht gleich. Er war damit beschäftigt, einer Gruppe junger Mädchen zuzuwinken. »Vive las princesses!«, brüllte er begeistert. Die Mädchen kicherten. Ihre mit Brokat besetzten Gewänder reichten bis zum Boden und auf ihren Köpfen trugen sie Perücken mit weißen Locken und rosa Bändern.
»Wird er sich wohl benehmen!«, bellte der Fahrer im roten Samt nach hinten.
Rönee warf den Prinzessinnen noch schnell ein paar Kusshände zu, bevor er sich wieder grinsend an Nabuu wandte. »Weit über tausend!«, antwortete er fröhlich. »Und darunter einhundert Prinzessinnen!«
»Beachtlich!«, erwiderte Nabuu. Er meinte weniger die Anzahl der Prinzessinnen, als die der Einwohner. Nabuu war noch nie in einer solch großen Stadt gewesen – und erst recht nicht in einer, die hoch in den Lüften schwebte. Was der Kaiser hier geschaffen hatte, war einfach erstaunlich. Er musste ein besonderer Mann sein. Das erste Mal während der letzten Tage schöpfte Nabuu wieder Hoffnung: für Kilmalie, seine Freunde und für sich selbst.
Sie fuhren auf einen kuppelförmigen Bau zu, der von spitzen Palisaden eingezäunt war. Die Straße machte einen weiten Bogen und führte rechts daran vorbei.
»Das ist die Verteilerstation. Hier mündet der Versorgungsschlauch in die Stadt«, erklärte Rönee.
Neugierig betrachtete Nabuu das dunkle Gebäude. Es wimmelte hier von Soldaten. Manche warfen ihm finstere Blicke zu.
Bald darauf rollten sie dem kaiserlichen Palast entgegen. Von den Parkanlagen bekam Nabuu nicht viel zu sehen: Kleine Bäume und dichte Hecken säumten die Chaussee und versperrten die Sicht. Es roch nach Regen und duftete nach Gras. Nabuu hörte das Zwitschern von Vögeln, das Plätschern von Wasser und das Lachen von Kindern.
Schließlich erreichten sie den Prachtbau. Das Otomobil wurde langsamer und kam mit einem zischenden Geräusch zum Stehen. Nabuu kletterte aus dem Fahrzeug. Grüne Wiesen und bunte Blumenrabatten bedeckten den Platz vor dem Palast. Kleine Wege liefen strahlenförmig in den Park, der bevölkert war von Menschen. Paare schlenderten Hand in Hand umher. Ein Bursche mit Augenbinde wurde von einer Horde kreischender Frauen verfolgt. Ihre Kleider waren aus goldenen, silbernen und kupferfarbenen Stoffen. Männer in hautengen Hosen, die unter den Knien endeten, standen im Halbkreis und unterhielten sich angeregt. Nabuu bestaunte die bunten Rüschen ihrer Hemden und ihren ausgefallenen Kopfschmuck. Er musste zweimal hinschauen, bevor er begriff, dass es sich um Perücken handelte. Weiße und pinkfarbene Perücken.
Die de Roziers führten scheinbar ein sorgloses Leben. Nabuu beobachtete die zahlreichen Bediensteten, die in dunklen Kitteln oder roten Samtanzügen zwischen den feinen Herrschaften hin und her wuselten. Auf riesigen Tabletts brachten sie Speisen und Getränke oder trugen schmutziges Geschirr davon. Dabei hielten sie sich gebückt und blickten verschämt zu Boden.
Nabuu missfiel dieser Anblick. Er reckte sein Kinn vor und nahm sich vor, den kaiserlichen Herrschaften fest in die Augen zu schauen. Er stieg hinter Rönee die hellen Stufen zum Eingangsportal hinauf. Zu beiden Seiten der mächtigen Flügeltüren standen reglose Wächter mit glänzenden Lanzen. Sie trugen blauweiße Uniformen und Handschuhe. Ihre Köpfe steckten in kegelförmigen Hauben aus schwarzen Straußenfedern, und ihre Augen schienen durch die Eintretenden hindurch zu schauen.
In einer Halle, die so groß wie der Marktplatz von Kilmalie war, wies der Mann in rotem Samt sie zu warten an. Während Rönee sich in den nächsten Sessel fallen ließ, bestaunte Nabuu den mit Mosaiksteinen besetzten Boden. Kleine Rosetten aus blauen Steinen vermittelten den Eindruck, man würde über Wasser laufen. An den Wänden hingen unzählige Bilder, die Porträts der kaiserlichen Familie zeigten. Die Hallendecke war ein einziges Gemälde. Es zeigte den Lauf der Sonne, die Mondphasen und viele Sternenbilder.
In verschiedenen Ecken des Raumes standen auf kleinen Säulen Figuren aus Balsaholz und Bimsstein: Efranten, Nilrosse, Raubkatzen und Abbilder von wild aussehenden Kriegern. Auf einem runden Glastisch entdeckte Nabuu die Miniatur einer Roziere. Er ging näher heran, um sie sich besser anschauen zu
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