VT09 - Die tödliche Woge
Entscheidungen zurückgedrängt wird. Dann wird mein militärischer Erfolg auch der deinige sein.«
»Aber Marie ist die Herrscherin von Orleans-à-l’Hauteur. Ich bin nur Gast in dieser Stadt.«
»Turlututu! Sobald Marie fort ist, kann sie keine Befehle mehr geben. Dann bist du…« Er grinste wölfisch. »Ich meine, dann seid Ihr, verehrte Prinzessin Antoinette, die einzige adlige Person von Rang in dieser Stadt!«
Sie schnappte nach Luft. »Ihr verlangt, dass ich eine Revolte anzettele!«
»Quatsch!« Er blickte sich um, und als er sicher war, dass sie nicht beobachtet wurden, trat er so nahe an Antoinette heran, dass seine Nasenspitze fast ihre Stirn berührte. »Ich will nur, dass Ihr nicht vergesst, was damals war. Es wird der Tag kommen, an dem wir alle unsere Rechnung zu machen haben, und dann werdet ihr doch wohl zu denen gehören wollen, die etwas zu fordern haben, nicht wahr?«
Antoinette presste die wulstigen Lippen zusammen. Sie hätte de Fouché die Augen auskratzen können für diese Unverschämtheit! Aber er hatte Recht. Er hatte sie in der Hand seit jenen Geschehnissen in Avignon-à-l’Hauteur. Sie erinnerte sich nur ungern daran.
»Wir ihr wollt«, presste sie hervor. »Ich werde sehen, was ich für ihn tun kann.«
»Schon besser«, sagte er zufrieden, drehte sich auf dem Absatz herum und ließ Antoinette stehen.
***
Nabuu fühlte sich, als würde er aus einem tiefen, schwarzen Tal ganz langsam dem Licht entgegenschweben. Schwerelos.
Bewegungslos.
Nur dass oben am Ziel kein Licht auf ihnen wartete, sondern nur abermalige Dunkelheit, unterbrochen von einigen blaugrünen Flecken, die über dem Ufer des Sees fluoreszierten.
Nabuu fror, trotz der Wärme.
Das war kein Wunder, da seine Kleider komplett durchnässt waren.
Wasser. Der See. Der Kampf mit dem Monsterwoorm…
Endlich kehrte die Erinnerung zurück, und Nabuu sprang auf – um im nächsten Augenblick mit einem schmerzerfüllten Seufzer zurückzusinken. Der linke Ellenbogen, auf den er sich gestützt hatte, schien in hellen Flammen zu stehen.
Er tastete über den Arm und sog zischend die Luft zwischen den Zähnen ein. Die Haut über dem Ellenbogen brannte wie Feuer. Eine Wunde, die ihm der Woorm offenbar im Kampf zugefügt hatte. Nabuu konnte sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern, nur noch an den gigantischen Schatten, der unvermittelt zwischen ihnen aufgetaucht und das Wasser gespalten hatte wie eine Faust der Götter. Und den Mann, der sie alle gerettet hatte.
Wabo.
Er hatte den Woorm allein mit seinem Schwert besiegt. Und sein künstliches Bein dabei verloren. Er selbst war vermutlich vom Woorm zerquetscht und längst von einem Strudel unerreichbar ins Innere des Vulkanbergs gezogen worden.
Ein Schatten fiel über Nabuu.
Hauptmann Cris. Er zwirbelte seinen hässlichen Schnurrbart und starrte mürrisch auf Nabuu herab, als wäre er nicht besonders glücklich darüber, dass der Woormreiter den Angriff überstanden hatte.
»Er lebt«, sagte Cris mit einem abschätzigen Blick auf Nabuus Ellenbogen, »aber ich glaube, er ist leicht verletzt.«
Leicht verletzt. Vielen Dank, du Arschloch.
Ob die Verletzung eine Lappalie war oder nicht, hätte Nabuu gern selbst entschieden, aber da trat bereits ein zweiter Gardist in sein Blickfeld. Die lederne Rüstung des Mannes triefte ebenfalls vor Nässe, aber auf seinem Rücken saß bereits wieder der Köcher mit den Armbrustpfeilen. Die Armbrust selbst hielt er schussbereit in der Hand, als traute er dem Frieden nicht, der um sie herum herrschte.
Wie Recht er damit hat. Diese ganze Umgebung ist verflucht. Wir hätten niemals hierher kommen dürfen.
Nabuu erschrak über den Gedanken. Seine Entschlossenheit, seine Überzeugung, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, in das Innere des Berges vorzudringen, geriet offenbar ins Wanken. Ich bin kein Held und erst recht kein Gott. Ich bin nur ein Mensch.
Vielleicht war es so, wie Wabo gesagt hatte: Er war ein Zivilist ohne jede militärische Ausbildung, und als solcher hatte seine Belastbarkeit Grenzen. Er sehnte sich nach der Erdoberfläche, nach der Sonne, nach Menschen…
Aber dann erinnerte er sich daran, dass dort oben niemand mehr auf ihn wartete. Keiner der Menschen, die er kannte, kein Bewohner von Kilmalie, dem Dorf, in dem er aufgewachsen war, war noch am Leben. Wer nicht von der ausbrechenden Lava getötet worden war, den hatten die Gruh ermordet.
Schlimmer noch. Verzehrt.
Rachegefühle wallten so heiß wie eine
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