Vulkanpark
zu
begehen. Schon sein Beruf als Rettungssanitäter, den er bis zu seiner
Verhaftung gewissenhaft ausgeübt habe, sei darauf ausgerichtet, Menschenleben
zu retten und nicht zu zerstören. Der Anwalt zeichnete das Bild eines sozial
handelnden Mannes, der zu Unrecht angeklagt sei, und prangerte an,
Staatsanwaltschaft und Polizei hätten eine Atmosphäre der Vorverurteilung
erzeugt, nachdem sie erst den Zwillingsbruder in Gewahrsam genommen hatten –
was er als ungeheuerliche Panne der Polizei hinzustellen versuchte.
Richter
Kowalek stellte dem Angeklagten scharfe Fragen, doch er erhielt entweder gar
keine oder ausweichende Antworten. Bereitwillig und ausführlich erzählte
Benjamin von Nebensächlichkeiten, die nichts zur Erhellung beitrugen. Konkreten
Nachfragen wich er – wie schon in den Vernehmungen der Polizei – geschickt aus.
Ja, am
Abend des 15. Juli habe es einen leichten Unfall mit einem Jungen auf einem
Fahrrad gegeben. Diesen Jungen habe er nie zuvor gesehen. Dessen Fahrrad habe
bei seinem Wagen leicht den Kotflügel gestreift. Der Kleine sei gestrauchelt
und umgekippt und habe sich eine Schürfwunde am Knie zugezogen. Er habe dem
Kind aufgeholfen und die Wunde versorgt. Nachdem ihm der Junge wiederholt
versichert habe, dass nichts Gravierendes passiert sei, sei er weitergefahren.
Das Kind sei in die andere Richtung gefahren, er habe angenommen, nach Hause.
Benjamin
sagte es nicht, aber aus seinen Worten klang deutlich hervor: Danach wird er
wohl meinem Bruder begegnet sein.
»Wieso
waren Sie in einem gestohlenen Fahrzeug unterwegs?«, fragte der Richter.
»Ich
wollte eine Freundin vom Flughafen abholen, und es war schon spät. Mein Auto
streikte. Aber es war mir sehr wichtig, die Freundin abzuholen. Ich hatte es
versprochen. Da habe ich in meiner Not ein Auto genommen, das am Straßenrand
stand. Weil es doch schnell gehen musste.«
Er
lächelte, zuckte mit den Schultern und sprach in einer Manier, als sei es das
Normalste von der Welt, ein Auto zu stehlen.
Im Saal
wurden leise Kommentare ausgetauscht.
»Zu
welchem Flughafen wollten Sie?«, hakte der Richter unbeeindruckt nach.
»Düsseldorf.«
»Und da
fahren Sie solche Umwege über Eifel-Orte?«
»Mendig
liegt an der A61. Ich hatte etwas in Andernach zu besorgen. Das war der
schnellste Weg zur Autobahn. Es war ein mir bekannter Weg, den ich oft gefahren
bin.«
Eloquent
beantwortete er die an ihn gerichteten Fragen, flocht unwichtige Dinge ein und
sparte das, was man eigentlich von ihm wissen wollte, geschickt aus.
Auf die
Frage, ob er den Rauscherpark kenne, antwortete er: »So wie man eben ein
Naherholungsgebiet kennt.«
»Sie
sind in Miesenheim aufgewachsen und haben dort bis zu Ihrem 13. Lebensjahr
gelebt. Miesenheim ist nur wenige Kilometer vom Rauscherpark entfernt. Da haben
Sie doch sicher mal das Gebiet erforscht? So eine Gegend mit einem Fluss und
Höhlen ist doch gerade für einen Jungen hochinteressant.«
Benjamin
hob die Schultern und schwieg.
Er tat
alles, liebenswürdig zu wirken. Wie ein netter Nachbar von nebenan, der
vielleicht mal Mist verzapfte. Oder ein kleiner Junge, der sich peinlich
ertappt fühlte und dies wegzulächeln versuchte.
Mantraartig
wiederholte er immer wieder diesen Satz: »Ich habe es nicht getan. Ich mag
Kinder. Warum hätte ich den Jungen töten sollen?«
60
Es war schwer, gegen das Gewirr
in seinem Kopf anzukämpfen. Seine Augen brannten. So viel war in den letzten
Wochen und Monaten auf ihn eingestürmt, dass er nicht mehr wusste, wo hinten
und vorn war.
Erst
hatte man ihn angeklagt wegen eines Verbrechens, das offensichtlich sein Bruder
begangen hatte. Die Befragung von Adeline war ihm äußerst peinlich gewesen, und
doch war er ihr dankbar, dass sie seine Alibis bestätigt hatte. Dies war entscheidend
dafür, dass man ihn aus dem Gefängnis entließ.
Nach
seiner Freilassung hatte er erfahren, dass er einen 17-jährigen Sohn hatte.
Hervorgegangen aus einer Zufallsbekanntschaft mit einer Frau, die längst
gestorben war und deren Namen und Gesicht er vollkommen vergessen hatte. Eine
Begegnung, die er versucht hatte, aus seinem Gedächtnis zu löschen. Doch als
dieser Junge vor ihm stand, hatte er vermeint, in eine jüngere Ausgabe seiner
selbst zu blicken. Dennoch wusste er nichts mit ihm anzufangen. Alles, was ihm
in diesem Moment einfiel, war dumm und töricht und nicht der Situation
angemessen. Da war ein Mensch, der ihm in besonderer Weise glich, und doch
hatte er keinerlei Beziehung zu
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