Vulkanpark
Kopf zu heben und diesem Mann ins Gesicht sehen. Er war auf
eine elegante Weise leger gekleidet, ganz so, wie sie ihn kannte:
Designer-Jeans, weißes, am Kragen offen stehendes Hemd, unauffälliges marineblaues
Sakko. Keine Krawatte. Er trug eine dunkle Sonnenbrille, die er erst
herunternahm, als die Kameraleute ihre Arbeit beendet hatten. Sein
Gesichtsausdruck war freundlich. Den Gefängnisaufenthalt sah man ihm kaum an.
Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie gut er aussah, wie sympathisch und
gepflegt, im Grunde wie einer, dem man solch schreckliche Taten, wie sie ihm
vorgeworfen wurden, niemals zutrauen würde.
Staatsanwalt
Gregor Hansen räusperte sich, strich sich durch die Haare, sodass sein Pilzkopf
einen kurzen Augenblick etwas verwegen aussah, und verlas mit ernster Miene die
Anklage.
Franca
beobachtete Benjamin, der aufmerksam den Worten des Staatsanwaltes lauschte,
als habe das Ganze mit ihm nicht das Geringste zu tun. Man hielt ihn für
schuldig, am 13. Mai dieses Jahres die siebenjährige Lara Weisglas entführt und
missbraucht und am 15. Juli den neunjährigen Timo Sielacks verschleppt und
ermordet zu haben. Benjamin Jacobs hatte in beiden ihm angelasteten Fällen kein
Geständnis abgelegt.
Bei den
polizeilichen Vernehmungen hatte er nur so viel zugegeben, was ihm einwandfrei
nachgewiesen werden konnte. Ansonsten hatte er zu sämtlichen Vorwürfen
geschwiegen. Folglich klafften in den Vernehmungsprotokollen Lücken, die das
Gericht geklärt haben wollte.
Der
Vorsitzende Richter, der stets höflich im Ton blieb, zeichnete sich durch
genaue Akten-Kenntnis aus. Er verwies auf die Lücken in der Einlassung und
legte dem Angeklagten nahe, diese zu schließen.
Benjamin
Jacobs lachte kurz auf und überließ die Antworten zunächst seinem Anwalt, der
dem Gericht klarzumachen versuchte, dass hier der Falsche auf der Anklagebank
saß.
Franca
dachte an die Gegenüberstellung im Polizeipräsidium. Sie hatte nach langem hin
und her erreicht, dass die kleine Lara sich durch eine einseitig durchsichtige
Trennwand hindurch Benjamin Jacobs anschaute. Inständig hatte sie gehofft, dass
das Kind ihn als seinen Peiniger erkennen würde. Doch das Mädchen hatte nur den
Kopf geschüttelt, war schnell wieder zur Mutter gelaufen und hatte sich auf ihrem
Schoß verkrochen. Franca wusste nicht, ob sie überhaupt hingesehen hatte. Es
war schwer zu deuten, was das Kind dort hinter der Scheibe wahrgenommen hatte.
Nun
beobachtete Franca die Körpersprache des Mannes, der ihr – in einem anderen
Leben, wie es ihr schien – einmal so nah gewesen war. Er hielt den Rücken
gerade, den Kopf erhoben, die dunkelblonden Haare waren gewachsen und fielen
ihm in sorgsam arrangierten Strähnen in die Stirn. Sein Gesichtsausdruck war
regelrecht herausfordernd, manchmal deutete sich in seinem Gesicht ein
Lausbubenlächeln an, das sich zu einem Grinsen auswuchs. So als ob er sagen
wollte: Ihr könnt mir gar nichts. Ab und zu drehte er den Kopf und betrachtete
interessiert die Zuschauerreihen.
Wahrscheinlich
genießt er die Aufmerksamkeit, die man ihm entgegenbringt, schoss es Franca
durch den Kopf. Zum weiß Gott wievielten Mal fragte sie sich, was für ein Mann
sich hinter dieser Maske verbarg, und wieso ausgerechnet sie auf ihn
hereingefallen war. Sie, die glaubte, die Menschen zu kennen. Die, hätte man
ihr prophezeit, dass sie sich einmal in einen mutmaßlichen Mörder verlieben
könnte, laut aufgelacht hätte.
Franca
suchte die Reihen nach bekannten Gesichtern ab. Auf den hinteren Plätzen
erspähte sie die Eltern von Lara Weisglas, die mit versteinerten Mienen das
Prozessgeschehen verfolgten. Die Eltern von Timo Sielacks waren nicht anwesend.
Barbara Sielacks hatte Franca mitgeteilt, dass sie sich den Belastungen des
Prozesses nicht gewachsen fühle, da sie Angst davor hatte, dem Angeklagten ihre
Wut und ihre Ohnmacht ins Gesicht zu schreien. Auch hatte sie die Befürchtung
geäußert, dass bei diesem Prozess nicht ihr ermordeter Sohn, sondern der Täter
im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen würde. Dass womöglich Entschuldigungen
für seine monströsen Taten gesucht und vielleicht sogar gefunden würden, könne
sie nicht ertragen. Berechtigte Bedenken, die Franca nicht zu zerstreuen
vermochte.
Benjamin
Jacobs Anwalt verteidigte seinen Mandanten nach allen Regeln der
Advokatenkunst. Er präsentierte ihn als freundlichen und einnehmenden Menschen,
der nichts zu verbergen habe. Er sei viel zu menschlich, um eine solche Tat
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