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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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abgetreten. Die Frau war obenauf, nahm Sonja
schwesterlich in den Arm und bot ihr sogar einen Schluck Schnaps an.
    »Ruf deine
Tante an«, sagte Sonja. »Sag ihr, du nimmst den nächsten Zug. Du hast zehn
Minuten zum Packen. Und, Franzi, ich bringe dich zum Bahnhof. Ich helfe dir mit
dem Gepäck.«
    »Kein
Problem, Schätzchen. Ich verstehe schon. Lass mich schnell meine Sachen
packen.«
    »Na so
was«, pfiff sie. »Wer hätte das gedacht? Es ist Weihnachten, und wer kommt da
hereingeschneit? Die süße, kleine Belle mit den Taschen voller Zaster.«
    Der Junge
hörte das und biss sich auf die Lippe. Keiner hatte ihm gesagt, dass Sonja mehr
als einen Namen hatte. Er fragte sich, ob das etwas zwischen ihnen änderte.
     
    Der Zug nach Trebbin ging vom
Anhalter Bahnhof, nicht weit von Franzis Wohnung. Sie liefen durch die Kälte
und stellten sich am Fahrkartenschalter an. Der Bahnhof hatte kein Dach mehr,
und so spannte sich der bleierne Himmel über die ausgezackten Wände. Das Ganze
glich einem Flüchtlingslager. In Mäntel und Decken gehüllt, saßen die Leute auf
ihren Koffern, Kinder liefen herum, bettelten um etwas zu essen, und alles war
vom ohnmächtigen Zorn mangelhafter Ernährung erfüllt. Zwei Drittel der Leute
waren Frauen, was etwa dem Durchschnitt im ausgebluteten Berlin entsprach. Sie
wirkten männlich in ihren aufgekrempelten Hosen und gerade geschnittenen
Mänteln. Verbitterte Frauen und von Männern zurückgelassene Sonntagsanzüge,
das waren die Hauptüberlebenden nach sechs Kriegsjahren. Sonja fühlte sich in
ihrem Tweedkostüm und den hochhackigen Schuhen fehl am Platz.
    »Wo wollen
die bloß alle hin?«, fragte sie sich laut.
    »Die Leute
suchen nach Essen. Es geht das Gerücht, dass es in einigen Dörfern noch Butter
gibt.« Franzi schnaubte verächtlich. »Was für 'n Scheiß.«
    Ein
kleines Mädchen kam an ihnen vorbei, die Füße in Zeitungen und Lumpen gehüllt.
Die Zehen der Kleinen waren schwarz gefroren. Sie folgte zwei rauchenden Soldaten
und wartete darauf, dass sie ihre Stummel wegwarfen. In ihrer Hand hielt sie
bereits fünf oder sechs Kippen. Sonja fragte sich, wie viele das Mädchen wohl
brauchte, um sich ein Paar Schuhe kaufen zu können.
    Endlich
kamen sie an die Reihe. Franzi kaufte eine Fahrkarte dritter Klasse. Seit dem
Krieg gab es keine erste oder zweite Klasse mehr. Sie würden noch eine volle
Stunde warten müssen, bevor der Zug abfuhr, aber Sonja weigerte sich, zurück in
die Wohnung zu gehen.
    »Ich warte
mit dir«, sagte sie knapp. »Die Züge sind dieser Tage nicht sehr zuverlässig.«
    Franzi
schnaufte. »Du traust mir nicht über den Weg, was?«
    »Franzi,
ich weiß, dass du mich nie gemocht hast, und ich weiß auch, du riechst, dass
sich hier auf die eine oder andere Weise Geld verdienen ließe. Aber wenn du
irgendwem erzählst, dass ich in deiner Wohnung bin, und wenn du es auch nur
heraushauchst, bin ich tot, und der Junge auch, und du wirst es sein, die uns
umgebracht hat. So einfach ist das. Ich kann dich nicht davon abhalten, den nächsten
Zug zurück zu nehmen oder von Trebbin aus zu telefonieren. Ich kann dich nur
bitten, mit dem zufrieden zu sein, was du bekommen hast, und es dabei zu belassen.«
    »Du zählst
darauf, dass ich mich als Christin erweise, Belle? Wie süß.«
    »Ich zähle
darauf, dass du zu unserer Abmachung stehst. Das ist alles, worum ich dich
bitte.«
    »Das alles
hat mit Boyd zu tun, richtig? Er ist tot, weißt du. Erschossen, haben sie
gesagt.«
    »Ich
weiß.«
    »Hat der
Kleine ihn umgebracht? Der mit dem braunen Smoking? Der hatte echt was für
dich übrig, der Junge.«
    »Ich weiß
nicht, wer Boyd umgebracht hat.«
    »Jetzt, wo
ich drüber nachdenke ... Da hat vor einer Weile einer nach dir gefragt. Dunkle
Augen, mit so 'nem feuchten Glanz, und mit 'ner Art, als hätte er einen Besen
im Arsch. Behauptete, er und Boyd wären im Krieg Kumpel gewesen.«
    »Hast du
ihm von mir erzählt?«
    »Nur deine
Adresse hab ich ihm gegeben. Mehr hätte ich nie gesagt.«
    »Nein?
Warum nicht?«
    »Ich
mochte den Kerl nicht. Der hielt sich für was Besseres. Dieses Scheißgetue.
Klingelt bei 'ner Frau und hat dann nicht mal einen Blick für sie.«
    »Vielleicht
habt ihr zwei euch einfach nicht vertragen.«
    »Oh, ich
weiß nicht. Ich hab geredet, und er hat mich mit Glimmstengeln gefüttert.
Eigentlich sind wir ganz gut miteinander ausgekommen.«
    Der Zug
fuhr ein, und die beiden Frauen kletterten hinein und suchten Franzi einen
Platz. Das Abteil, in dem

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