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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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Mikrofilm ab,
damit Paulchen ein Muster hatte. Sie legte den Film zurück in die
Tischschublade und schloss sie ab.
    »Versuche
nicht, das Schloss zu knacken. Wir wollen beide dasselbe.«
    Der Junge
ließ nicht erkennen, ob er sie gehört hatte. Er sah zu, wie sie ihre Sachen
zusammenpackte, und kaute auf seinen schmutzigen Nägeln herum. Sie war schon
fast aus der Tür, als er sie aufhielt.
    »Sie
hatten versprochen, sich nicht in Pavel zu verlieben.«
    Er sagte
es zweimal. Seine Stimme brach.
    »Lieben
Sie ihn jetzt?«
    Sie
befeuchtete ihre Lippen und nickte.
    Er
erschauderte und fuhr sich mit einer fürchterlich erwachsenen Trauergeste über
das Gesicht.
    »Als ich
ihn das letzte Mal gesehen habe, trug er Schlo', und Schlo' war tot, und ich
konnte ihm nicht mal zeigen, dass ich da war.«
    »Du wirst
ihn bald schon wiedersehen.« Sie zwang sich, zuversichtlich zu klingen. »Ich
verspreche es.«
    Er sah sie
zwischen seinen Fingern hindurch an. »Sie sind nicht wie er. Sie halten Ihre
Versprechen nicht.«
    Sonja
hatte darauf keine Antwort. Sie trat aus der Wohnung und schloss die Tür hinter
sich ab.
     
    Sonja ging den weiten Weg zum
Unterschlupf der Jungen und hoffte, beim Übergang in den britischen Sektor
nicht nach ihren Papieren gefragt zu werden. Sie eilte durch die Straßen, aus
denen sie erst tags zuvor geflohen war. Als sie das Haus erreichte, den Schal
hoch ins Gesicht gezogen, blieb sie eine Weile stehen und vergewisserte sich,
dass es nicht unter Beobachtung stand. Am Ende besiegte die Kälte ihre
Vorsicht. Sie trat näher.
    Links und
rechts des Hauseingangs lagen meterhohe Schuttberge, schneebedeckt und doch
kantig. Hinter der unverschlossenen Tür wand sich eine düstere, stark
mitgenommene Treppe um einen leeren Aufzugsschacht. Das Geländer und die Hälfte
der Stufen waren zu Brennholz verarbeitet worden, die Wände voller
Einschusslöcher, wütender Kritzeleien und den Kreideskizzen unzähliger
hingeschmierter Schwänze. Wie Anders es ihr gesagt hatte, kletterte sie daran
vorbei bis ganz nach oben. Vor der Tür zur Dachwohnung saß ein zitternder, in
einen Wehrmachtsmantel gehüllter Wachposten. Der Junge war vielleicht zwölf,
hatte völlig verdreckte Haare und trug ein Armeemesser am Gürtel. Die linke
Hälfte seines Gesichts zeugte von einer noch frischen Tracht Prügel, die er
bekommen hatte.
    »Was
wollen Sie hier?«, schnarrte er.
    »Ich muss
mit deinem Chef sprechen.«
    »Der hat
zu tun.«
    Sonja
hatte keine Zeit für dieses Theater und zog die Waffe aus der Tasche.
    »Ich
bringe nur etwas zurück, das er verlegt hat.«
    Der Lauf
der Pistole deutete auf seine Füße, und der Junge gab nach, ohne dass sie ihm
weiter drohen musste. Er öffnete die Tür.
    »Da will
dich irgend 'ne Möse sprechen«, polterte er nach drinnen, »die hat 'ne Wumme
dabei.«
    Die Worte
kamen ungelenk aus seinem Kindermund. Vielleicht hatte er sie erst kürzlich
aufgeschnappt.
    Sie schob
sich an dem Jungen vorbei in die Wohnung, sah die Wand mit den
Hollywood-Pin-ups, das Sofa, die Matten und Decken und den gut gefüllten
Kohleeimer. Es roch nach Corned Beef. Ein Dutzend Cocktailgläser standen in
einer Kiste neben einem Kohlkopf und einer völlig verformten gusseisernen Kasserolle.
Paulchen war ebenfalls in einem bemitleidenswerten Zustand, das Gesicht voller
blauer Flecke und geschwollen, den Arm in Gips, und einige Zähne fehlten,
gleich vorne, wo man es sah. Er saß in seinem Sessel, die Füße auf einer
abgerissenen Ottomane, und an seinem Schal steckte ein Eisernes Kreuz. Außer
ihm waren keine Jungen zu sehen.
    »Anders
hat mich gebeten, dir das hier zurückzubringen.« Sie zeigte auf die Pistole,
machte aber keine Anstalten, sie ihm zu geben.
    »Geben Sie
schon her.«
    »Später. Erst brauche ich etwas von dir.«
    »Ach ja?«
    »Ja, und ich kann dafür zahlen.«
    »Wie viel?«
    Sie legte
dreißig Dollar auf die Ottomane, zusammen mit einer Silberbrosche.
    »Das als
Anzahlung. Dazu kommt meine Uhr, wenn ich bekomme, was ich will.«
    Sie hielt
sie ins Licht des Fensters, damit er sehen konnte, dass die Steine echt waren.
Der Junge mit dem Messer pfiff anerkennend, Paulchens Gesicht verriet keinerlei
Regung. Vielleicht tat es weh, es zu bewegen.
    »Was brauchen Sie?«, fragte er.
    »Eine Art
Sichtgerät für einen Film.« Sie legte das abgeschnittene Stück Negativ neben
das Geld. »Das Stück habe ich mitgebracht, damit du weißt, für welche Größe.«
    Er
betrachtete es, ohne sich auf seinem Sessel zu bewegen.

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