Vyleta, Dan
Zustand des
Kinos. Ein Kaffeepläuschchen bei vorgehaltener Pistole. Er hielt sie hüfthoch,
den Lauf auf ihren Leib gerichtet.
Sonja
ignorierte ihn und warf ein Trockentuch über den braunen Schleim zu ihren
Füßen. Sie nahm Tasse und Untertasse und dazu die gefüllte Zuckerdose und
wollte an ihm vorbei zurück ins Wohnzimmer. Der Russe wartete, bis sie neben
ihm war, dann stieß er sie zurück in die Küche. Ihr Rücken schlug gegen die
Schranktür, die laut zuknallte.
»Rede, kurva«, sagte er. Seine Augen steckten wie Murmeln in dem knotigen
Kopf. »Rede, oder ich dich dazu bringen. Du mit Söldmann vögeln. Wir haben
Bilder.«
Es mag
ihre Angst gewesen sein, aber sie hatte den Eindruck, seine Hände bewegten sich
ein Stückchen in Richtung seines Schritts.
Der Junge
rettete sie. Plötzlich, völlig unvermittelt, stand er da und hielt mit beiden
Händen eine Pistole vor sich. Seine fieberheißen Backen glühten so rot wie die
des Russen.
»Lass sie
in Ruhe.«
Seine
kindliche Stimme zitterte. Vielleicht wäre
es besser gewesen, dachte sie, er hätte nichts gesagt.
Der Russe
drehte sich um, erst mit dem einen, dann mit dem anderen Fuß, die Schultern
wuchtig unter dem Ledermantel. Die Pistole hielt er immer noch in der Hand. Auf
den Lippen lag ein freundliches Lächeln.
»Junge«,
sagte er, »du wollen keinen Ärger mit mir. Nicht wegen ihr. Sie nicht gut.«
Mehr sagte
er nicht, weil ihn in diesem Moment ihre Bratpfanne auf den Kopf traf. Die
Wucht des Schlags verdrehte ihr das Handgelenk. Wie ein welkes Blatt sank er in
sich zusammen.
»Hilf mir,
ihn zu fesseln«, befahl sie Anders. Mit Gürteln und Schals banden sie ihn auf
einen Stuhl. Blut floss ungehemmt aus dem Kopf des Russen und färbte sein
blondes Haar rötlich. So aus der Nähe konnte sie den Tabak in seinem Atem und
seinen Schweiß riechen.
Schnell,
mit neu gefundener Klarheit, nahm Sonja die Wintersocken vom Tisch und
wickelte den Inhalt aus ihnen. In ihrer Wut hätte sie ihn beinahe verbrannt, in
den Ofen geworfen, um ihn in den Flammen vergehen zu sehen. Aber stattdessen
zog sie sich an und befahl dem Jungen, eine Tasche für sie zu packen.
»Nimm alle
Wertsachen. Zwei Pfund Kaffee, meine Zigaretten und Unterwäsche, vor allem die
seidene. Die Wintermäntel und alle Strümpfe, die du finden kannst. Das
Bettzeug, wenn es sich irgendwie unterbringen lässt. Und vergiss das
Silberbesteck nicht.«
Der Junge
starrte sie an, während sie in ihren Tweedrock stieg, und folgte dann ihren
Anweisungen. In weniger als einer halben Stunde waren sie bereit zum Aufbruch.
»Wird er
erfrieren?«, fragte der Junge irgendwann und deutete auf den Russen. Der Affe
war ihm auf den Schoß geklettert und kaute an seinem Mantel.
»Ich weiß es nicht.«
Sie machte
eine Pause. Der Junge sah sie mit glühenden Wangen an. »Vielleicht frisst ihn
der Affe.«
Sonja
stand da und stellte es sich vor. Sie kam zu einem Entschluss.
»Steck den
Affen in einen Kartoffelsack. Wir nehmen ihn mit. Gib ihm einen Schlag auf den
Kopf, wenn er Ärger macht.«
Dann, als
die Koffer bereits auf dem Treppenabsatz standen, wählte Sonja Foskos Nummer.
Er hob ab und bekam sofort einen Wutanfall.
»Ich habe
dir doch gesagt, du sollst mich ein paar Tage in Ruhe lassen.«
»Ich habe den Mikrofilm«, sagte sie. »Den was?«
»Den
Mikrofilm. Ich habe ihn. Mach dir nicht die Mühe, nach mir zu suchen. Ich bin
lange weg.«
Er dachte einen Moment darüber nach. »Was willst du?«
»Ich will
Pavel«, sagte sie. »Unverletzt.«
»Tu ihm
etwas an«, sagte sie, »und ich verbrenne den verfluchten Film.«
»Du tauschst den Film gegen
Pavel?«
»Ja.«
»Wann?«
»Ich melde
mich.«
»Gott
verdammt, Sonja. Wann?«
»Wenn ich
so weit bin. Unverletzt, hörst du mich? Ich nehme keine beschädigte Ware.«
Sie warf
den Hörer auf die Gabel und riss das Kabel aus der Wand.
»Und jetzt?«, fragte der Junge.
»Jetzt rennen wir wie der Teufel.«
Ihr
letzter Blick, als sie aus der Tür trat, galt dem Flügel. Wie gerne hätte sie
noch einmal darauf gespielt. Der Affe im Sack über ihrer Schulter fing tief und
schwer an zu atmen. Sie betete zu Gott, dass er seine Fäkalien bei sich
behalten würde, bis sie dort ankamen, wo sie hinmussten.
Sie stürmten auf die Seelingstraße
hinaus, rannten sie hinunter, bogen um die nächste Ecke, wechselten auf das
gegenüberliegende Trottoir und versteckten sich in einem Hauseingang, Taschen
und Koffer vor sich aufgestapelt. Nach zwei, drei Minuten
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