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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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schien klar, dass
ihnen niemand folgte. Schnell nahmen sie ihr Gepäck wieder auf und liefen bis
zur nächsten größeren Straße, wo sie in den Bus Richtung Wilmersdorf stiegen.
Das Gesicht des Fahrers war voller Pockennarben und mit Vaseline gegen die
Kälte beschmiert. Nach zwanzig Minuten Fahrt stiegen sie aus, nahmen die U-Bahn
in der Gegenrichtung und sprangen in einen zweiten Bus Richtung Potsdamer
Platz. Der Rotz in Anders' Nase war längst gefroren und formte einen klammen
Wurm auf seiner Oberlippe. Anders tastete mehrmals mit der Zunge danach,
erfühlte Größe und Geschmack, bis Sonja ihn dabei ertappte und angewidert den
Mund verzog. »Tut mir leid«, murmelte er.
    Sie zuckte
mit den Schultern und sah aus dem Fenster. Wann immer sie an einem
Uniformierten vorbeikamen, versteinerte ihr Gesicht. Ein schmutziger alter Mann
drängte sich von hinten zwischen sie und versuchte, ihnen eine
Schallplattensammlung mit Volksliedern zu verkaufen. Ein oder zwei
Haltestellen vor der Friedrichstraße stiegen sie aus. Anders hatte immer noch
keine Ahnung, wohin sie wollten. Er begriff nur, dass Sonja Pavel zu retten
versuchte, und so folgte er ihr sanftmütig wie ein Lamm.
    Sie gingen
vielleicht zehn Minuten. Die Koffer schlugen ihnen gegen die Knie, bis sie
endlich vor einem Haus stehen blieben, oder besser: einem halben Haus. Die
andere Hälfte war mit erstaunlicher Präzision weggebombt worden. Der Schutt lag
immer noch mehr als mannshoch, und Rohre und Kabel ragten aus dem Geröll. Oben
sah man ein zerteiltes Wohnzimmer mit Blümchentapete, dessen Bodendielen über
den Rand hinauszeigten. Anders rechnete schon fast damit, auch noch ein halbes
Hausmädchen zu sehen, das ein halbes Weihnachtsessen auftrug. Sein Fieber
machte ihn ganz schwindelig.
    Sonja
wählte eine Klingel und drückte sie ohne zu zögern. Anders sah, wie sich in
einer der Parterrewohnungen ein Netzvorhang zur Seite schob. Augenblicke
später öffnete sich die Tür. Eine Frau mit dickem Hinterteil stand wartend auf
der Schwelle zu ihrer Wohnung. Sie trug einen Bademantel und saugte am Stummel
einer Zigarette, der nass von ihrer Spucke war.
    »Franzi.
Bist du allein?«
    »Du? Was
zum Teufel machst du hier?«
    »Bist du
allein, Franzi? Du hast doch gerade keinen Kunden, oder?«
    Die Hure
schüttelte den Kopf.
    »Nein. Ich
arbeite seit ein paar Tagen nicht mehr zu Hause. Kann's mir nicht leisten zu
heizen.« Sie musterte Sonja von Kopf bis Fuß. »Was um alles in der Welt ist mit
dir passiert?«
    »Lass uns
herein.« Sonja wedelte mit einem Bündel Dollarnoten, die sie aus der
Brusttasche zog. Ohne ein weiteres Wort stieß die fettärschige Hure die Tür
ganz auf und ließ die beiden in die Wohnung.
    Drinnen
roch es nach billigem Alkohol und Schweiß. Die Frau war gerade beim Frühstück
gewesen. Auf der zusammengeflickten, mit Zigarettenbrandflecken übersäten
Tischdecke standen Ersatzkaffee, eine kleine Schnapsflasche und etwas, das
aussah wie das verschimmelte Ende einer Speckseite.
    »Macht es
euch bequem. Ich setz den Kessel auf, aber ich hab keinen Kaffee mehr.«
    Sonja kam
gleich zur Sache. Stand ruhig in der Mitte des schäbigen Raums und gab ihre
Anweisungen. Sie erinnerte Anders an Pavel und dessen Begegnung mit Paulchens
Pistole.
    »Ich will,
dass du die Stadt verlässt«, sagte sie zu der Hure. »Nur für ein paar Wochen.
Ich brauche die Wohnung.«
    Die Frau
lachte. »Ach ja? Nur für ein paar Wochen? Der Witz ist gut.«
    »Ich meine
es ernst, Franzi. Wie viel wird es kosten?«
    Sonja
zählte fünfzig Dollar ab und legte sie neben die Schnapsflasche. Die
Geldscheine wirkten frisch und sauber auf der völlig ruinierten Tischdecke.
    »Fünfzig
amerikanische Dollar. Mich laust der Affe. Du meinst es wirklich ernst, wie?«
    »Ja.«
    Franzi
streckte die Hand aus und berührte das Geld.
    »Einen
Urlaub könnte ich schon brauchen«, sagte sie vorsichtig. »Hab ein Tantchen
draußen vor der Stadt, in Trebbin. Wäre schön, Weihnachten mit Familie und so.
Gemütlich, weißt du, Plätzchenbacken und so weiter. Du meinst es wirklich
ernst, wie?«
    »Ja.«
    »Du brauchst einen Platz, wo du
dich verstecken kannst?«
    »Ja.«
    »Das kostet dich aber etwas mehr
als das.«
    »Wie viel?«
    Sie fingen
an zu feilschen. Anders konnte kaum dabei zusehen. Die Hure nahm Sonja aus.
Innerhalb von fünf Minuten hatte Sonja dem Fettarsch etwa ein halbes Dutzend
Messer und Gabeln, eine Perlenkette, einen seidenen Morgenmantel und
fünfundsechzig Dollar in bar

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