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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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üppigen
Lippen.
    »So
verrückt nun auch wieder nicht«, sagte er. »Er hat es uns doch gesagt. Im
fünften Stock.«
    »Es ist
der vierte, nicht der fünfte.«
    »Für einen
Amerikaner ist es der fünfte. >Wir sind zwei Kulturen, durch eine
gemeinsame Sprache voneinander getrennt<.Ich frage mich, wer das zuerst
gesagt hat.«
    Sie sah
ihn in ihrem Spiegel lachen und dachte, dass er es ziemlich gut aufnahm.
    »Weiß er
etwas?«, fragte er.
    »Ich glaube
nicht. Ich habe heute Morgen mit ihm gesprochen, und er kam ohne besonderen
Grund auf Boyd zu sprechen.« Von dem Zwerg, dachte sie, musste sie ihm nicht
auch noch erzählen. Im Augenblick jedenfalls nicht. Pavel würde Schwierigkeiten
deswegen bekommen, und sie wollte ihm nicht noch mehr Ärger bereiten, als sie
es ohnehin schon tat.
    »Er ist
krank?«
    »Ja. Aber
auf dem Weg der Besserung. Ich habe einen Arzt gerufen.«
    »Wunderbar.
Die gute Samariterin. Es wäre schön, wenn du ihn mir morgen vorstellen könntest.«
    »Was soll
ich ihm sagen?«
    »Nichts«,
sagte der Colonel. »Du sagst nichts. Das Reden erledige ich.«
    Er lachte
im Stillen und säuberte sich mit ihrem seidenen Morgenmantel zwischen den
Beinen, bevor er in den Salon zu seinen Kleidern ging. Als er angezogen war,
band er sein Geschenk los und fütterte es mit weiterem Schinken.
    »Nimm ihn
wieder mit«, bat sie ihn, aber er schüttelte den schweren Kopf.
    »Gib ihm
etwas Zeit. Früher oder später, da bin ich sicher, werdet ihr euch lieben
lernen.«
    »Das ist die
menschliche Natur«, erklärte er ihr, »zwei einsame Seelen im Gefängnis ihres
Luxus. Mach dir keine Sorgen, mein Schatz. Ihr zwei werdet euch schon bald
bestens verstehen.«
    Nachdem er
gegangen war und versprochen hatte, noch vor dem Morgengrauen zurückzukommen,
verschloss sie die Tür und fing wieder an zu trinken. Ihr war ganz und gar
nicht danach, jetzt nach unten zu gehen und nach dem kranken Mann zu sehen.
     
    22. Dezember 1946
     
    S päte
Morgendämmerung über Berlin. Noch versteckt sich die Sonne hinter den weiten
russischen Ebenen, aber ihre Strahlen verraten sie bereits, wenn auch nur
schwach. In Sonjas Wohnung in Charlottenburg steht der Colonel nackt vor seinem
Morgenspiegel. Schaum auf Gesicht und Hals, das Rasiermesser an der fleischigen
Falte seines Kinns. Sonja wartet in der Küche mit dem Kessel in der Hand, dass
der Strom angestellt wird. Im Wohnzimmer fährt ein aufgedrehtes Tier mit
ledrigen Pfoten über die Tasten eines Bösendorfers. Eine Etage tiefer träumt Pavel
nicht länger von Nieren, sondern von einem Tubaspieler, der auf Crusoes Insel
gelandet ist. Dabei lächelt er, weil es ihm verrückt vorkommt. Nebenan ruhen
ein Junge und ein toter Zwerg, Letzterer steif und teilnahmslos, wie es seinem
Zustand entspricht, Ersterer ausgebreitet, wohlig, mit dem konzentriert verkniffenen
Gesicht eines schlummernden Kleinkinds. Anderswo in der Stadt, in einem Bordell
im russischen Sektor, verebben die letzten Regungen gekaufter Liebe. Gegenüber
dem Bordell erwacht ein junger deutscher Ingenieur, erleichtert, dass ihn kein
Offizier mit vorgehaltener Waffe dazu auffordert, Richtung Osten zu ziehen, wo
Magnitogorsk sich nach Männern mit seinen Kenntnissen sehnt. Weiter westlich,
im Wedding, vergießt ein Metzger mit seiner Knochensäge und seinem
Filetiermesser das erste Blut des Tages. Draußen vor der Tür warten bereits die
Kunden, die Lebensmittelkarten in ihren Fäustlingen vergraben. Gar nicht weit
entfernt schläft ein junger Mann, Paulchen, mit steifem Hals auf dem Lauf
seiner Luger, die unter dem Kissen hervorragt. Zwei Etagen tiefer hustet eine
alte Frau knotigen Schleim in ein Taschentuch, das ebenso steif gefroren ist
wie sie selbst. Näher noch, sie werden nur wenige Minuten für die Fahrt
brauchen, steht ein improvisiertes Leichenhaus, darin eine stählerne
Krankenbahre, und ein Körper, der sich um den Tod in Form eines ausgefransten
Lochs windet, etwas oberhalb des Brustbeins. Schienbeine und Wangenknochen sind
zerschmettert. Wer auch immer den Mann getötet haben mag, er verstand sein
Geschäft. Es dämmert in Berlin, die Bühne erwartet den nächsten Akt. Ein Morgen
wie dieser, und ich fühle mich alt und verbraucht, als ich auf meiner Pritsche
erwache, ganz so wie Wotan, der ein Auge gab, um mit dem anderen Vergangenheit
und Zukunft zu sehen.
    Glauben
Sie, er hat lange genug gelebt, um seinen Handel zu bedauern?
     
    Sie kamen herein, ohne lange
anzuklopfen. Die Frau, Sonja, ging voran und

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