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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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schüttelte ihm demonstrativ die
Hand, mit einer Kälte und Förmlichkeit, die es bislang zwischen ihnen nicht
gegeben hatte. Sie erklärte ihm, sie habe einen Besucher mitgebracht.
    »Noch
einen Arzt?«, fragte Pavel.
    »Nein«,
sagte sie, »einen Freund.«
    Sie war
drauf und dran, mehr zu sagen, biss sich aber auf die Lippe. Pavel fand dies
bezaubernd, es erinnerte ihn an den Jungen. Er wandte seine Aufmerksamkeit dem
Besucher zu.
    Der Mann
kam herein, als gehörte ihm die Wohnung. Eine ganz außergewöhnliche
Erscheinung, vor allem aber fett, womöglich der fetteste Mensch, den Pavel je
gesehen hatte. Das Fett füllte sämtliche Teile seines Körpers aus, von den
Ohrläppchen bis zu den Handflächen, die gepolstert aussahen wie die eines
Neugeborenen. An den fetten Fingern ein halbes Dutzend Ringe, die sie noch
fetter wirken ließen, aus Gold und mit wertvollen Steinen besetzt, die Nägel manikürt
und glänzend. Ansonsten war der Auftritt ein einziges Pelzwallen. Nerz, es
musste Nerz sein: ein mittellanger Frauenmantel, der Taille angepasst und oben
mit einem dreißig Zentimeter breiten Kragen, der sich um Schultern und Hals
schmiegte. Darunter eine schlecht sitzende Offiziersuniform, englisch,
Messingknöpfe, die sich gegen die Leibesfülle wehrten. Die Haut hatte die Farbe
von Teig, Kuchen oder Kaiserbrötchen, ohne ein Korn Roggen. Die Wangen waren
die eines Bassets, der Schädel ohne ein Haar. Feuchte Lippen, die ein
mächtiges, hervortretendes Oval formten. Die Oberlippe so dick wie die untere,
ohne Furche unter der Nase: Lippen wie Würste, dennoch nicht unschön. Der
Schritt leicht, geräuschlos. Eine schöne Stimme, die Worte perfekt geformt,
der Händedruck trocken und gewandt. Bedächtig legte der Mann eine dicke
Handfläche auf Pavels Wange, um das Fieber zu prüfen, und wischte sie gleich
anschließend mit einem Taschentuch ab. Eine ganz außergewöhnliche Erscheinung,
gehüllt in eine Wolke Parfüm. Die Waffe im Gürtelhalfter sah geölt aus, und
so, als hätte er sie noch nie benutzt.
    »So«,
sagte der fette Mann und ließ dabei Besorgnis erkennen. »Das ist also Sonjas
kranker neuer Freund. Ich bin entzückt.«
    Pavel lag
benommen in seinem Bett und schmeckte das Parfüm auf der Zunge. Er war
überzeugt, dass er diesem Mann niemals etwas entgegensetzen könnte.
    »Richter«,
sagte er. »Ich heiße Richter.«
    »Fosko.
Colonel Stuart Melchior Fosko, zu Ihren Diensten. Ich komme wegen eines
Freundes von Ihnen. Sie kennen doch einen gewissen Boyd White? Boyd Ferdinand
White, Gefreiter der US-Army, vor neun Monaten ehrenvoll entlassen und seitdem
in Berliner Glücksspiel- und Prostitutionskreisen aktiv? Wie sich die Dinge
verhalten, Mr Richter, habe ich schlechte Nachrichten für Sie. Boyd White ist
tot, mausetot. Ich würde gerne wissen, wer dahintersteckt.«
    Der
Colonel lächelte mit seinen feuchten Lippen, und Pavel fand, dass ihm keine
Wahl blieb, als in gleicher Weise darauf zu antworten, die Zähne
zusammenzubeißen und der Nachricht von der Ermordung seines besten Freundes mit
einem Lächeln zu begegnen.
     
    Der Colonel ließ ihm keine Zeit,
sich von dem Schreck zu erholen. Er hatte kaum aufgehört zu reden, als sich die
Tür öffnete und zwei englische Gefreite hereinkamen. Sie hatten eine Bahre
dabei und eine Feldflasche voll Cognac. Fosko wollte von Pavels Einwänden
nichts hören, dass er gut selber laufen könne, sondern sagte nur, er solle sich
auf die Bahre rollen, als die Gefreiten sie neben sein schmales Bett hielten.
Dann gab er ihm die Feldflasche und forderte ihn auf, ein paar Schlucke »gegen
die Kälte« zu nehmen. Die Soldaten trugen ihn mit gefährlicher Neigung die
Treppe hinunter: Pavel hatte den Kopf vorne und spürte, wie er hilflos auf den
Hintern des vorderen Trägers zurutschte. Als er ihn schließlich berührte, schob
der ihn mit einem Grunzen und einem Stoß der Hüften ohne weitere Umschweife
zurück. Draußen auf der Straße stieß die Kälte in Pavels Luftröhre und drang
ihm in die Lungen. Die Luft war klar und eisig, der Himmel von einem sonderbar
bleiernen Blau. Schroff halfen die Gefreiten Pavel in den wartenden Wagen und
versprachen ihm für das andere Ende der Fahrt einen Rollstuhl. Der Junge wollte
sich neben ihn setzen, aber der Colonel schob ihn weg und bugsierte den eigenen
Leib auf den Sitz neben Pavel. Seine Schenkel wuchsen in die Breite und drohten
Pavels zu überrollen. Pavel fühlte, wie seine Schulter in der Brust des
Nachbarn verschwand, und

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