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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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Körper, schimpfte er sich, verschwört sich gegen meine Trauer. Seine Augen waren plötzlich wie
ausgedörrt. Er schloss die Lider, um sie zu befeuchten. Wie aus weiter Ferne
hörte er, dass Sonja sich wegdrehte und aus dem Raum lief. Der Junge ließ einen
tiefen Pfiff hören und rückte an seine Seite. Hinter ihm stand der fette Mann
und roch wie ein Eimer Rosen.
     
    Der Junge hatte noch nie so eine
Leiche gesehen. Sie war wirklich übel
zugerichtet, wie man so sagt, aber das war es nicht allein. Anders
hatte schon andere zerschlagene Leichen gesehen, Leichen mit zertrümmerten
Gliedmaßen und verwüsteten Gesichtern, und einmal, in einem öffentlichen Pissoir,
hatte ihm ein ehemaliger Soldat die Narbe von einem Granatsplitter gezeigt, der
ihm einen Großteil seiner Männlichkeit und ein ansehnliches Stück Oberschenkel
weggerissen hatte. Anders hatte sich übergeben müssen, zur Freude des
Veteranen. Die Erinnerung daran ließ ihn erschaudern. Er war sich so
schwächlich vorgekommen. Diesmal musste er sich nicht erbrechen.
    Es war
Boyd White, der pimp, der den
Zwerg gebracht hatte. Sie hatten ihm durch die Kehle geschossen, die Wunde war
auf Anders' Augenhöhe, und zunächst einmal ließ er seinen Blick dort, auf dem
sternförmigen Loch. Die weißen Hautlappen sahen wie eine dreifache Lippe aus,
die über die Zähne gesaugt wurde, oder eben eine zahnlose Lippe, die nach innen fiel, in die Finsternis der
Höhle hinter ihr. Anders stellte sich vor, wie der Mann mit dem Laborkittel
seine Finger in diese Höhle gesteckt hatte, um nach der Kugel zu fischen. Ihm
wurde ganz schwindelig bei dem Gedanken, dass jemand so einen Beruf hatte,
davon lebte, einem anderen Mann die Hand in die Kehle zu stecken, und Anders
sagte sich, dass er sicher ein Werkzeug dazu benutzt hatte, eine Schere
vielleicht oder so etwas wie eine kleine Zange. Der Junge fragte sich, wie groß
sie wohl gewesen war, die Kugel, und er stellte sich das Geräusch vor, das sie
gemacht hatte, als man sie, achtlos, da war er sicher, in eine der
Metallschüsseln auf dem Tisch gleich in der Nähe geworfen hatte. Laut war es
nicht gewesen: Anders ließ es von den Kacheln des Raums widerhallen, ein
rasches kleines Klicken, wie von einem Zahn, der in ein Waschbecken fällt, dann
wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Leiche zu.
    Mit dem
Gesicht stimmte etwas nicht. Formlos hing es da, als würde es nur vom Bart der
Leiche zusammengehalten. Anders dachte sich, dass die Wangenknochen gebrochen
sein mussten. Die Augen des Toten waren stark geschwollen, was hieß, dass sie
ihm das Gesicht, wie er betrübt begriff, noch vor Eintritt des Todes
zerschlagen haben mussten. Offenbar hatten die Augen noch reichlich Zeit zum
Anschwellen gehabt. Der Mund war unberührt, aber auf den sommersprossigen
Schultern waren Brandmale von Zigaretten und Schlimmerem. Dünne Striemen spannten
sich über Brust und Bauch, als hätten sie Boyd mit einem Drahtseil
ausgepeitscht, und die Beine waren derart zertrümmert, dass es schwierig
gewesen war, sie zurück in eine gerade Linie zu bekommen. Der linke Fuß war so
stark geschwollen, dass er wie ein schwarzer Pferdehuf wirkte. Sie war
hässlich, diese Leiche, blassgescheuert und schamlos nackt.
    Anders
fragte sich, wie Pavel ihn sehen mochte, den Leichnam seines Freundes, der ihm
einen Mantel geschenkt, aber nichts getan hatte, um ihm in seiner Krankheit
beizustehen. Er sah zu Pavel auf, als der aus seinem Rollstuhl aufstand und
sich neben den Jungen stellte. Anders sah eine tiefe Ausdruckslosigkeit, sah
ein Gesicht, das eine ruhevolle Nacht hinter sich hatte. Erleichterung
erfüllte den Jungen, erfüllte ihn, bis er die erste Träne fließen sah. Sie
fiel neben Anders auf den Boden, und er versteckte sie unter dem fellgefütterten
Stiefel des Zwergs. Eine zweite traf seine Schulter, und dann war kein Halten
mehr, vermischt mit Rotz strömten die Tränen über Pavels Gesicht, sammelten
sich um sein Kinn, hingen ihm am Kragen und auf der Brust, baumelten an
Knöpfen und Händen, die er gehoben und dort vergessen hatte, geöffnet vor der
Brust. Pavels Weinen blieb tonlos, und Anders stand unentschlossen da, bis der
fette Mann, der Colonel, ein Taschentuch über Pavels Züge legte. Er wischte ihm
über das Gesicht, wie man ein Fenster trocknen oder einen Flecken vom Boden
aufwischen mochte.
    »Na, na«,
gurrte er, und Pavel, in einem Anfall von Schwäche, vergrub sein Gesicht in
Foskos nerzbedeckter Schulter und schluchzte.
    Das
beendete

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