Vyleta, Dan
Richtige.«
»Wo haben
Sie so gut Deutsch gelernt?«
»Mein
Vater war Deutscher, meine Mutter Russin, die Hauslehrerin Französin. Ich
heiße Jean Pavel Richter.« Er lächelte dünn, als wäre es ein alter Witz.
»Geboren in Cincinnati, 1914.«
»Das liegt
in Amerika?«
»In Ohio.
Ein Rattenloch.«
Sie dachte
über diese Charakterisierung nach und tat sie als das Gerede eines kranken
Mannes ab. »Berlin ist ein Rattenloch«, sagte sie.
»Ja«,
sagte er, »heutzutage schon.«
Sie
machten eine Pause, aßen Suppe und sahen einander an. Ihre in der Kälte
aufsteigenden Atemwolken vermischten sich über dem Bett. Sie erinnerte sich an
ihre sich selbst auferlegte Pflicht, ihm gegenüber gleichgültig zu bleiben.
»Und der
Junge?«, fragte sie, um das Thema zu wechseln.
»Ein
Herumtreiber, ein Dieb. Völlig heruntergekommen.« Wieder dieses dünne, schwache
Lächeln auf seinem Gesicht.
»Er
spricht nicht so, als wäre er auf der Straße aufgewachsen. Jedenfalls nicht
immer. Er klingt eher, ich weiß nicht. Nach Büchern.«
Pavel
nickte, sagte dann aber: »Er liest nicht. Ich werde noch nicht ganz aus ihm
schlau.«
»Haben Sie
ihn gefragt?«
»Das«,
erklärte er, »entspräche nicht unseren Regeln.«
»Sie haben
Regeln?« Er sah sie an.
»Wie
Liebende«, sagte er. »So gefällt es uns.«
Dann
verließ sie ihn, nachdenklich, in ihrem Kopf der Gedanke, dass Pavel ein
feinsinniger Mensch war, und als solcher gefährlich.
Sonja verbrachte den Tag am
Klavier. Gegen sechs Uhr abends fing sie an zu trinken. Sie trank Wein und
Cognac und bereitete sich auf den Colonel vor. Ihr wurde bewusst, dass sie sich
heute noch nicht gewaschen hatte, sagte sich aber, dem Colonel werde das egal
sein: Er war fähig, selbst noch an ihrem Körpergeruch Gefallen zu finden. Sie
kleidete sich in Tweed, Seide und Pelz, wie eine englische Lady. Sie heizte
ein, schnitt auf der Anrichte Schinken, falls er hungrig sein sollte, und
versicherte sich, dass ihr Pessar richtig saß.
Er kam um
Punkt elf und brachte das versprochene Geschenk mit, grinste, als sie sich
angewidert abwandte.
»Ich habe
ihn von einem alten Wehrmachtsgefreiten, der sagte, vor dem Krieg habe er in
einem Zirkus gearbeitet. Ist er nicht schön?«
»Er
stinkt«, beklagte sie sich und sagte, er solle die Leine an die Türklinke binden.
Der Affe
schrie und kratzte über den Boden, bis der Colonel ihm etwas Schinken und
gezuckerten Tee gab. Als das Tier gegessen und getrunken hatte, setzte es sich
hin und zupfte an seinem Schwanz herum. Erst jetzt gab ihr der Colonel einen Begrüßungskuss,
drückte ihr seine nassen, freundlichen Lippen, die doppelt so groß waren wie
ihre, auf den Mund und lutschte daran, als wäre er eine Süßigkeit.
»Mein
Schatz«, sagte er. »Meine süße kleine Dirne. Spiel uns etwas auf deinem
wunderbaren Flügel vor.«
Schmollend,
wobei sie wusste, dass es ihn eher amüsieren als ärgern würde, wählte sie einen
düsteren Totenmarsch. Während sie spielte, zog er sich mitten im Salon aus,
ohne sich weiter an der Kälte zu stören. Als er ihr sagte, sie solle aufhören,
stand er nur noch in Schuhen, Socken und Strumpfhaltern da. Die Kälte straffte
seine schlaffe, babyblasse Haut, die von einem Netzwerk zartblauer Adern
durchzogen wurde, und gab dem Leib eine blasenhafte Festigkeit. Er rief sie zu
sich, und sie gehorchte ohne ein Zögern. Den Akt selbst leistete sie auf dem
Bett ab, nutzte Mund und Hände, um seine Haut zu malträtieren, so wie er es
mochte. Hinterher wurde es dann Zeit, ihm alles zu erzählen, bevor er
zurückfuhr an seinen eichenen Schreibtisch mit dem Foto von seiner Frau und den
Kindern und dem Aschenbecher aus dem elfenbeinernen Zahn eines Pottwals.
Dennoch zögerte sie ein paar Augenblicke, wohl wissend, dass sie es nicht
riskieren konnte, dass er es auf andere Weise herausfand. Sonja stand auf, ging
quer durch das Zimmer zu ihrem Ankleidetisch und sah sich in ihrem Schminkspiegel
zu, wie sie die Worte formte.
»Unten ist
ein kranker Mann«, sagte sie völlig unvermittelt. »Er kennt Boyd White.«
Sie hatte
gedacht, das würde ihn aus der Fassung bringen, konnte in ihrem Spiegel aber
keine Reaktion erkennen. Er lag immer noch auf dem Rücken, die fetten Beine
weit gespreizt und mit einem Kissen unter dem Kopf, so dass er sie über seinen
Leib hinweg beobachten konnte.
»Was du
nicht sagst. Unten?«
»Direkt
unter uns. Verrückt, was?«
Er
kicherte gut gelaunt in sich hinein und blies Speichelblasen von seinen
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