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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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ihn nicht auf das Bett legen, worum ich ihn bat, sondern hielt ihn
lieber gegen seine schmale Brust gedrückt. Mit vorgehaltener Waffe brachte ich
ihn durchs dunkle Treppenhaus nach unten. Als wir die erste Stufenfolge hinter
uns hatten, hörte ich, wie sich weiter oben leise eine Tür schloss.
    Sonja
hatte gelauscht.
    Sekunden
später war zu hören, wie sie anfing zu spielen. Die Töne klangen wie ein
Zittern durch das Haus.
     
    Anders hatte einen erbärmlichen
Tag, allein draußen in der Kälte. Vormittags hatte er nach einem
Schwarzmarkthändler gesucht, der ihm noch etwas schuldete, und ihn dazu überredet,
ihm auf Pump einen Schlafsack zu verkaufen. Das Ding stammte aus Beständen der
Sowjetarmee, mit rotem Stern und einem kyrillischen Namen, der mit einer
Schablone auf die Seite geschrieben war. Keine schlechte Qualität, aber voller
hellroter Rostflecken und heftig nach eingelegtem Hering stinkend. Mittags
bekam Anders Hunger und war gezwungen, zusammen mit einer Horde anderer Jungen,
von denen keiner zu Paulchens Bande gehörte, bei der britischen Kaserne um
Essen zu betteln. Er bekam etwas gekochtes Rindfleisch mit Bohnen und einen
halben Riegel Schokolade, um den er sich mit einem Fünfzehnjährigen, der ein
lahmes Bein hatte, schlagen musste. Mit einem Tritt zwischen die Beine und
einem Hervorblitzenlassen der Luger entschied er den Kampf für sich. Dann
senkte sich die Sonne bereits wieder, und Anders lief los, um seinen Posten vor
Pavels Haus zu beziehen und auf seine Beute zu warten.
    Das war
leichter gesagt als getan. Auf der Straße vor dem Haus gab es einen
überraschend beständigen Strom von Fußgängern, und Anders wollte keine Zeugen.
Dazu kamen die Fenster. Es war schwer zu sagen, ob jemand durch seine
vereisten, nebligen Scheiben spähte. Die sich ausbreitende Dunkelheit behob
dieses Problem jedoch, und die Weihnachtsvorbereitungen ließen nach und nach
auch den Fußgängerverkehr versiegen. Anders schlenderte dennoch zwanglos den
Bürgersteig hinunter, um mögliche Verstecke auszumachen, wobei ihm ein Mann in
einem Auto auffiel, der offensichtlich fror, obwohl er in mehrere Decken
gehüllt war und regelmäßig einen Schluck aus einer Schnapsflasche nahm. Der
Mann öffnete das Seitenfenster, damit die Windschutzscheibe nicht zu sehr
beschlug, und kratzte mit einem Stück Holz das Eis von ihr ab. Einmal stieg er
aus, um sich Zigaretten von einer jungen Frau zu kaufen, die mit einem
Kinderwagen vorbeikam. Anders hörte, wie er ihr frohe Weihnachten wünschte.
    »Ich bin
verheiratet«, sagte sie und eilte weiter die Straße hinunter.
    Mit einem
Mal wurde Anders bewusst, dass der Mann womöglich wegen etwas hier war, das in
Bezug zu seiner eigenen Unternehmung stand. Einen Moment lang gefiel ihm der
Gedanke, nicht ganz allein auf der Lauer zu liegen, aber dann überlegte er,
dass es einer der Männer des Colonels sein könnte. Allerdings trug er keine
Uniform, und als er die junge Frau nach den Zigaretten gefragt hatte, war sein
Akzent auch sicher kein englischer gewesen.
    Keine drei
Meter neben dem Auto gab es einen kleinen Schutthaufen mit verrotteten
Sandsäcken. Das Gebäude dahinter war wahrscheinlich das beste Versteck für
Anders. Er begriff, dass ihm kaum eine andere Wahl blieb, als das Risiko
einzugehen, dass sein Mitbewacher von ihm wusste. Gemächlich ging er zu dem
Schutthaufen hinüber, sprang auf ihn hinauf, schob ein paar Sandsäcke zur Seite
und baute sich eine kleine Mulde. Er breitete seinen Schlafsack darin aus,
kroch hinein, den widerlichen Heringsgeruch in der Nase, und drehte sich auf
den Bauch. Mit dem schwindenden Licht wurde er unsichtbar. Zwischen zwei Sandsäcken
hindurch konnte er die Straße überblicken, tastete nach seiner Pistole und kam
sich wie ein richtiger Heckenschütze vor. Der Mann im Auto hatte sein Manöver
mit melancholischem Blick verfolgt, aber keine Anstalten unternommen, mit ihm
zu sprechen oder ihn gar zu verjagen. Anders sah, wie er seine Flasche mit
einem letzten, langen Schluck austrank. Die Augen des Mannes waren rot
gerändert, müde, er brauchte eine Rasur, Kaffee und zwölf Stunden Schlaf. Der
Junge nickte ihm kurz zu, der Mann nickte zurück, und das war es. Dann begann
Anders in seinem daunengepolsterten Bau zitternd, Ausschau zu halten, und
wartete auf den fetten Colonel, Mordgedanken im Kopf.
    Anders war
zu spät gekommen, um zu sehen, wie Schlo' Pavel seine Nachricht brachte, aber
er vertraute darauf, dass ihn sein Freund nicht im Stich

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