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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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davon.
    Sah mich
an, seine Lippe zuckte, kräuselte sich komisch, und weg war er, flog dahin wie
der Wind, oder eher wie eine böse kleine Böe, geradewegs die Straße hinunter,
so schnell ihn seine kurzen Beine tragen konnten. Mir blieb keine Wahl, als ihm
nachzurennen, meine stärkeren Glieder durch meinen stärkeren Umfang behindert,
lief ich ihm hinterher und schrie (zweifellos wie ein Narr!), er solle doch
stehen bleiben. Er zeigte jedoch keinerlei Neigung, meiner Aufforderung
nachzukommen.
    Ich jagte
ihn die leere Straße hinunter und war vielleicht auf anderthalb Meter an ihn
herangekommen, als er, flink wie ein Karnickel, eine Finte nach links
vollführte und dann scharf rechts in eine dunkle Gasse bog, in der alle paar
Meter Bombentrümmer aus dem Schnee lugten. Ich versuchte, seiner Bewegung zu
folgen, ohne daran zu denken, dass meine Masse derart plötzliche Richtungswechsel
nicht mit der gleichen Eleganz zu vollziehen vermochte, wie sie der Junge hatte
erkennen lassen, und so stolperte ich, trat auf ein übles Stück Eis, der eine
Fuß schoss nach rechts, der andere nach links, und meine Arme wurden zu einer
wahren Windmühle. Kurz gesagt, ich fiel auf den Hintern, und das so dramatisch
und schmerzhaft, dass mir ein Fluch über die Lippen kam.
    »Jesus im
Himmel!«, schrie ich.
    Das war
das Letzte, was der Junge auf dieser Erde hören sollte.
    Etwas an
meiner Anrufung unseres Erlösers erzwang seine Aufmerksamkeit. Sein Kopf fuhr
herum, vielleicht um sich an meinem Elend zu erfreuen, vielleicht auch, um sich
zu überzeugen, dass es keine weiteren Verfolger gab (die gab es tatsächlich
nicht, waren die anderen Männer doch viel zu faul, einem Straßenlümmel
hinterherzujagen, und das auch noch am Heiligen Abend). Auf jeden Fall sah er
sich um, während seine Beine weiterrannten. Stieß mit dem Zeh gegen ein
hochgebogenes Stück Metallrohr, das halb in einer Schneewehe verborgen lag,
schlug mit großer Schnelligkeit nach vorn und brach sich auf dem Rand des
Bürgersteigs das Genick, einfach so, einen guten Zentimeter unter dem
Schädelansatz. Er riss sich auch das Gesicht etwas auf und brach sich
wahrscheinlich den Fuß, aber vor allem war es das Genick, so dass nichts
anderes zu tun blieb, als ihn aufzusammeln und den Colonel anzurufen, der mich
verschwörerisch flüsternd instruierte, die kleine Überraschung mit
Vorhangstange und Strick in Pavels Wohnung zu inszenieren, und die Birne sollte
ich zerschlagen, damit sich der Mann zunächst mit dem Schatten zu begnügen habe
und den Unsicherheiten des Mondlichts.
    Nachdem
ich die Anweisungen des Colonels noch einmal wiederholt hatte, in der
Beziehung war er eigen, schickte ich einen Mann voraus, um das Aufhängen zu
übernehmen, gehörte so etwas doch nicht zu meinen gewohnten Tätigkeiten. Im
Übrigen war mir der Gedanke nicht angenehm, am Heiligen Abend mit einem toten
Kind unter dem Arm durch Berlins Straßen zu spazieren, die Gliedmaßen nur
notdürftig unter einer Decke versteckt. Die Wahrheit ist, dass er mich ganz
krank machte, dieser zufällige Tod eines so jungen Menschen, obwohl es kaum
besser gewesen wäre, hätte man ihn gezielt umgebracht.
    Als der
Junge weggeschafft war, nahm ich schweren Herzens meine Stellung vor Paulchens
Wohnung wieder ein. Unser Auftrag lautete, zu warten, bis Pavel herauskam. Ich
sollte ihm folgen, während der Rest der Männer die Wohnung stürmte und sich
versicherte, dass Pavel dort nicht die Ware hatte verkaufen wollen (warum er
sie an Kinder verkaufen sollte, kann ich allerdings nicht sagen). Dabei würden
zweifellos ein paar Köpfe gegeneinandergeschlagen werden, zu Schlimmerem würde
es aller Voraussicht nach aber wohl nicht kommen.
    Was mich
betraf, so folgte ich Pavel zurück nach Hause und versicherte mich, dass er
zuerst zu Sonja hinaufging, was der Colonel mit einer solchen Gewissheit
vorausgesagt hatte, dass es mich bis heute erstaunt. Dann trat ich in seine
Wohnung, um zu sehen, ob alles richtig arrangiert war. Das war es, und so
wollte ich schon wieder gehen und den Mann, Jeremiah Easterman, einen Rohling
mit einem Kreuz wie ein Bulle, die Verhaftung vornehmen lassen, als mir der
Gedanke kam, dass das so nicht ging. Easterman mit seiner Kanone vor Pavel
herumwedeln und ihn wegen seiner Trauer um das Kind verhöhnen zu lassen, das
kam mir wie ein Verrat an der entstandenen Nähe vor, die sich meinem Gefühl
nach in diesen Tagen zwischen Pavel und mir eingestellt hatte, in diesen Tagen,
da ich ihm durch die

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