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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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nur einmal vor, nicht fester als ein Schlag bei
einer Kneipenschlägerei. Der Angegriffene zuckte, spuckte Atemwolken, holte
ein letztes Mal Luft, die roten Augen vor dem Jungen weit aufgerissen. Dann
verloren sie ihre Tiefe, erstarrten. Der Mann war tot, da gab es nicht den
leisesten Zweifel. Sein Mörder schloss die Tür, sah lässig die Straße hinauf
und hinunter und ging hinüber in Pavels und Sonjas Haus. Das Messer war aus
seiner Hand verschwunden, als hätte es nie eines gegeben.
    So einfach ist es, einen Menschen zu töten, sagte
Anders sich und überlegte, dass ihn dieser Gedanke eigentlich hätte beruhigen
sollen.
    Unter ihm,
nur wenige Meter von ihm entfernt, lag der Tote über sein Steuer gebeugt,
blutige Spucke auf den Lippen, die langsam gefror. Einen Moment lang dachte
Anders, er sollte aus dem Schlafsack kriechen und ihm das Blut abwischen, aber
dann erinnerte er sich an sein Vorhaben und drückte den Kolben der Luger.
    Gut, dass
er nicht aus seinem Versteck gekrochen war. Schon wenige Minuten später tauchte
der Mörder wieder auf, mit dem gleichen zielgerichteten Gang. Er stieg auf der
Beifahrerseite ins Auto und arrangierte den Toten so, dass der Kopf über der
Rückenlehne lag und die Augen unter den dickadrigen Lidern geschlossen waren.
Die Schnapsflasche kam gut sichtbar auf das Armaturenbrett, eine Decke bis
hoch über die vom Sterben durchnässte Brust. Nach diesen fürsorglichen
Handreichungen stieg der Mörder wieder aus dem Wagen, schloss bedächtig die
Tür und verschwand die Straße hinunter. Seine Stiefel, dachte
Anders, sahen britisch aus. Deine Uniform kannst du zwar ausziehen, dachte er, aber deine warmen Stiefel brauchst du trotzdem. Er setzte
den Toten im Auto unter sich mit auf die Rechnung des Colonels. Der fette Kerl
war reif. Er musste nur wieder auftauchen.
    Fosko ließ
ihn nicht zu lange warten. Tatsächlich machte er es Anders leicht. Völlig
unbeschwert spazierte er aus der Haustür und zog sich den Nerz fest um die
Schultern. Stolzierte mit aller Zeit der Welt zum Wagen des Toten, warf einen
Blick durch die Windschutzscheibe, ging einmal langsam um den Wagen, sah nach
Marke, Nummernschild und Reifen, und schon wurde die Beifahrertür ein zweites
Mal geöffnet. Leicht schnaufend, ließ sich der Colonel auf den Beifahrersitz
sinken, langte behutsam neben sich und fischte Brieftasche und Papiere des
Mannes hervor. Steckte beides ohne einen weiteren Blick darauf ein, öffnete
das Handschuhfach und durchsuchte es mit zerstreuter Miene. Fing plötzlich an
zu singen, ein Weihnachtslied verpackt in Schuljungenlatein, die Stimme ein
hoher Tenor, tote, durch die Luft treibende Worte. Der Colonel steckte sich
eine Zigarre an, wobei er zunächst die Finger ausschüttelte, um so viel Leben
in sie zu zwingen, dass er mit seinem Streichholzbriefchen zurechtkam. Summte
jetzt, das Schwein, am durchweichten Ende seiner Zigarre vorbei, und die
Kälte, die seine weihnachtliche Stimmung nicht zu bannen vermochte, färbte
seine Wangen rosa.
    Kurz, der
Colonel saß nur wenige Meter von dem Jungen entfernt und präsentierte sich als
leichtes Ziel, ein fetter Mann in einer Wolke Zigarrenrauch, der lateinische
Weisen summte. Zeit gab es auch genug. Eine volle Viertelstunde muss er dort
gesessen haben, rauchend, summend und sich mit träger Hand über den massigen
Schädel fahrend. Anders lag atemlos da, die Luger in der Hand. Die Hand
zitterte. Die zweite gesellte sich zur ersten, um sie zu beruhigen, vermochte
aber kaum etwas auszurichten. Der Pistolenlauf tanzte vor seinen Augen. Anders
rief nach seiner Wut, um ihn zu unterstützen, jetzt, da Mut gefordert war und
der fette Mann sterben musste. Vielleicht zwanzig Minuten lang lag er so da und
zielte zitternd auf die Brust des Colonels, den Finger steif am Abzug. Er hätte
es getan (wie er sich sagte), wenn er die Hände nur hätte beruhigen können, und
da nicht dieser unheimliche Tenor gewesen wäre, der in einer seit Langem toten
Sprache das Christkind besang. Aber was bedeutete ihm das alles? Dieser Mann
hatte ihn bedroht, hatte ihn gewürgt, war sein Feind. Und Pavels. Vögelte
Jungen (irgendwie) und saß rauchend und voller Spott neben einem toten Mann,
der einmal rotäugig gewesen war, einsam, ermordet von jemandem, der britische
Stiefel trug.
    »Schieß,
du Feigling«, bellte er sich an. »Schieß, solange du kannst.«
    Aber er
schoss nicht.
    Dann war
es vorbei. Der Colonel stieg aus dem Wagen, und auf der anderen Straßenseite
erschien

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