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Vyleta, Dan

Vyleta, Dan

Titel: Vyleta, Dan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pavel und Ich
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Pavel in der Tür seines Hauses, in den Armen den toten Schlo', dessen
Kopf wie eine welke Blume herunterhing. Hinter ihm folgte der Mann mit der
Augenklappe, dem die Waffe in der Rechten peinlich zu sein schien, während er
den Colonel mit der Linken grüßte.
    »Bringen
Sie Richter in die Villa«, befahl der Colonel, »und sorgen Sie dafür, dass
jemand die Leiche wegschafft.« Er deutete auf den Wagen, dessen Tür noch offen
stand, die Fenster voller Eisblumen. »Oh, und sagen Sie meiner Frau, dass ich
auch gleich nach Hause komme. Ich gehe schnell noch mal hinauf und höre mir ein
letztes Stück an. Beethoven, Peterson. Das Mädchen liebt Beethoven. Ich weiß
auch nicht, warum.«
    Dann waren
sie verschwunden. Pavel und das Einauge stiegen in ein Auto, das ein ziemliches
Stück die Straße hinunter parkte, und der Colonel ging die Treppe hinauf zu Sonja.
Und Anders lag immer noch da, die Pistole im Anschlag, und zielte ins Leere.
Vielleicht hätte er geweint, aber die Kälte hatte ihm die Augen ausgetrocknet
und die Tränenkanäle versiegelt.
     
    Er kam an diesem Abend noch ein
weiteres Mal zu ihr, das dicke Gesicht rot vor Kälte und den Atem voller
Zigarrengeruch, schloss auf und schlich in den Salon. Sonja saß am Flügel. Es
war nicht zu sagen, wie lange er schon dort stand, als sie ihn schließlich
bemerkte. Merkwürdigerweise erschrak sie nicht. Sie saß im Dunkeln und spielte
Beethoven.
    Fosko
zündete eine Kerze an, zog einen Stuhl heran und setzte sich neben sie.
Aufmerksam hörte er ihrem Spiel zu.
    »Wir haben
ihn in Gewahrsam genommen«, sagte er zwischen zwei Sonaten. »Ich meine Pavel.
Er muss verhört werden.«
    Er machte
eine Pause.
    »Mochtest
du ihn, mein Schatz?«
    Sonja fiel
die Vergangenheitsform auf. Sie zuckte mit den Schultern. Ansonsten bewegten
sich nur ihre Finger.
    »Oh, ich
würde sagen, du mochtest ihn. Hast du es mit ihm getrieben?«
    »Nein.«
    »Das hättest
du tun sollen. Wenn du ihn mochtest, hättest du es tun sollen. Was hätte es
geschadet?«
    Sie
spielte weiter, überlegte und gestand sich ein, dass sie vielleicht mit Pavel
hätte schlafen sollen. Es hätte eine Erinnerung werden können, oder eine Enttäuschung.
    Der
Colonel erhob sich und ragte über ihr auf. Im Halbdunkel spürte sie seine
Masse wie das Gewicht einer Henkersaxt. Er stand nahe genug, um ihre Hände in
Schatten zu tauchen. Bedächtig strich er über den Tastendeckel.
    »Beethoven«,
sagte er. »Beethoven war ein Romantiker. Ein tauber, von Musik besessener Mann.
Was könnte romantischer sein?«
    »Du
spielst schön, mein Schatz«, fuhr er fort, »aber wie mechanisch. Ohne
Leidenschaft. Es macht ihn lächerlich.«
    »Bitte«,
sagte sie, obwohl sie die Hände dort ließ, wo sie waren, »bitte, brich mir
nicht die Finger.«
    Er
kicherte leise und beugte sich vor, um ihr die Knöchel zu küssen.
    »Guter
Gott, wie dramatisch. Unterkühlt, aber trotzdem sehr dramatisch. Genau deswegen
liebe ich dich so.«
    Als er sie
ins Schlafzimmer führte, war er sanft wie ein Bräutigam, der seine Frau zum
ersten Mal besitzen durfte. Er hoffe, sagte er, ihre Unterleibsschmerzen hätten
sich gelegt, und pries die heilenden Kräfte des Cognacs. Nach der Hälfte der
Prozedur stellte sie fest, dass sie der Akt selbst nicht störte und ihr Körper
ganz natürlich reagierte. Später jedoch, während er sich anzog, lag sie wach
und konnte nur den Kopf darüber schütteln, dass sie vor ein paar Stunden noch
daran gedacht haben sollte, ihn umzubringen. Wie lächerlich! Da konnte sie auch
gleich auf den Mond einschlagen oder versuchen, dem Himmel die Sterne
auszustechen. Er würde überleben und immer da sein, in einer Nacht wie dieser,
im Schatten hinter ihr würde er sitzen und mit ihr reden wollen.
    Zum
Abschied küsste er sie auf die Stirn, und Sonja schlief mit dem Gedanken ein,
dass er ihr vielleicht eines Tages den Rücken brechen würde. Mit einem Hammer
würde er es tun, dachte sie, einem gewöhnlichen Hammer, wie es sie in jedem
Haushalt gab. Knochen für Knochen würde er ihr zerschlagen.
     
    Der Heilige Abend neigt sich
seinem Ende zu. Überall in der Stadt wünschen sich die guten Menschen von
Berlin eine gute Nacht und Gottes Segen. Kinder, die zum ersten Mal seit langer
Zeit wieder einen vollen Bauch haben, rollen sich in ihre Decken und sind in
diesem Jahr des Mangels endlich einmal zufrieden. Hoffnungsvoll sehen sie dem
nächsten Tag entgegen (obwohl es natürlich auch die gibt, die sich in den
Schlaf weinen, die

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