Wach auf, wenn du dich traust
nie wieder von dort wegwollte. Und außerdem hatte Burghausen etwas, das die Stadt nicht hatte: Tizian. Er war eine Klasse über ihr und sie war an ihrem ersten Schultag im Bus buchstäblich auf seinen Schoß gefallen. Eine Gruppe Fünftklässler hatte sich neben ihr gerangelt, bis sie schließlich den Halt verloren hatte und – Schicksal? – auf Tizian gelandet war.
Und weil es so voll gewesen war, hatte sie keine Chance gehabt, diesen Platz wieder zu verlassen. So musste sie sitzen bleiben, wo sie war.
Seitdem hatten sie sich im Bus immer wiedergefunden und nebeneinandergesetzt. Wenn Jenny in den Pausen nicht mit Debbie abhing, drehte sie oft Runde um Runde mit Tizian um das Schulgebäude. Gleich am ersten Tag hatte sich eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen eingestellt, aber Jenny hätte nicht sagen können, wann sie eigentlich angefangen hatte, sich in ihn zu verlieben.
Tja, und jetzt sollte ich mich wohl schleunigst wieder entlieben, dachte sie. Vielleicht ist diese Freizeit dazu ja genau das Richtige.
»Und was macht man da so bei dieser Freizeit?«, fragte sie, obwohl sie es eigentlich längst wusste. Sie hatten schon oft genug davon gesprochen.
Jenny liebte Outdoor-Aktivitäten aller Art: Bevor sie hergezogen waren, war sie im Kletterverein gewesen und überhaupt verbrachte sie ihre Zeit am liebsten an der frischen Luft. Die Freizeit war eigentlich genau das, was Jenny sich unter einem perfekten Sommer vorstellte.
Die Freundinnen ließen sich auf zwei der letzten freien Plätze plumpsen. Der Zug war voller Feierabendpendler und zum Bersten voll.
»Alles Mögliche«, sagte Debbie, »Klettern, Kanufahren, Geländespiele. Aber das Beste ist…« Sie schaute einer Gruppe Jugendlicher hinterher, die sich an ihnen vorbeidrängte. »Markus, also der die Freizeit macht, hat gesagt, wenn das ein Erfolg wird und sich alle anstrengen, dann gründet er mit uns ein Jugendzentrum. Stell dir mal vor! In Burghausen! Wir würden das komplett selbst aufbauen. Der Heimatverein stellt ein Gebäude zur Verfügung und wir könnten da machen, was wir wollen. Mit den Unterhofenern zusammen. Wär doch richtig cool, oder? Das gehört dann nur uns, keiner könnte uns sagen, wie wir es anstreichen oder einrichten sollen!«
»Und was heißt anstrengen?«, fragte Jenny.
»Was weiß ich – sich halt nicht danebenbenehmen und bei allem mitmachen, denk ich mal.«
»Aha.«
»Aha. Ist das alles, was dir dazu einfällt?« Debbie verdrehte die Augen.
Jenny lachte. Sie kannte ihre Freundin mittlerweile zu gut, als sich von ihrer Schnippigkeit verunsichern zu lassen. Die würde sowieso nicht lange anhalten.
»Was kostet denn die Freizeit?« Jenny versuchte, ihre Frage leichthin klingen zu lassen.
Debbie zuckte mit den Achseln.
»Ganz genau weiß ich es nicht«, gab sie zurück, »aber Markus sagte was von zweihundert Euro. Eigentlich ziemlich wenig für eine ganze Woche mit allem Drum und Dran.«
Zweihundert Euro. Jenny schluckte. Klang tatsächlich nicht nach viel. Sie sah aus dem Fenster. Zweihundert Euro. Als ob es darauf ankäme, ob das viel war oder nicht! Und überhaupt – was war das eigentlich für eine Entscheidung – entweder auf eine Freizeit zu fahren oder den Boiler auszutauschen, damit man sich warmes Badewasser einlaufen lassen konnte, ohne vorher eine Stunde vorheizen zu müssen? Zweihundert Euro machten eben doch einen Unterschied. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah finster aus dem Fenster. Jenny hatte keine Lust mehr, ständig daran erinnert zu werden, dass man für alles Geld brauchte. Das nervte. Konnte man nicht auch irgendwas ohne Geld machen? Zweihundert Euro – wenn man die nicht hatte, machte es eben doch viel aus. So einfach war das.
Debbie sah sie mit flehendem Blick an. »Och bitte, Jenny«, bettelte sie und trommelte auf Jennys Arm, »komm mit! Das wird bestimmt der totale Spaß! Diesen Markus musst du mal kennenlernen, der ist echt der Hammer! Superlocker drauf, der lässt uns tun, was Spaß macht. Und es wäre so super, wenn der das Jugendzentrum aufbauen würde. Der weiß, wie man so was macht. Und wir hätten endlich einen Platz für uns!«
»Okay, okay, ich überleg’s mir ja.«
»Wenn du mitgehst, gehe ich auf jeden Fall auch mit«, sagte Debbie und nickte entschlossen.
»Das ist ja fast Erpressung!« Jenny lachte unbehaglich. Dann öffnete sie eine ihrer Plastiktüten und warf einen Blick hinein. »Die passenden Klamotten hätte ich ja schon«, sagte sie. »Oder
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