Wachtmeister Studer
Es war im Anfang zu gut gegangen – und sonderbarerweise bedrückte ihn am meisten der Traum der vergangenen Nacht. Am Morgen hatte er die Pistole untersucht. Es war ein billiges Modell, er erinnerte sich dunkel, es in Bern in einer Auslage gesehen zu haben… Zwölf oder fünfzehn Franken? Vom Landjägerposten aus hatte Studer gestern telephoniert, die Nummer angegeben und gebeten, man möge sich bei den Waffenhändlern erkundigen… Es war fast aussichtslos, sicher, den Käufer festzustellen… Aber vielleicht gelang es zu beweisen, daß es dem Schlumpf unmöglich gewesen war, den Browning zu kaufen…
Jemand war vor ihm stehen geblieben. Er sah zuerst nur zwei schwarze Hosenbeine, die an den Knien stark ausgebeult waren. Dann wanderte sein Blick langsam aufwärts: ein riesiger Bauch, über den sich ein breiter Stoffgürtel spannte, ein Umlegkragen und der schwarze Knoten einer Krawatte; endlich, eingebettet in Fettwülste, das Gesicht des Gemeindepräsidenten Aeschbacher…
Und Studer dachte an seinen Traum…
Aber Aeschbacher war die Freundlichkeit selbst. Er grüßte höflich, fragte, ob es erlaubt sei, Platz zu nehmen, er schüttelte Studer herzlich die Hand und nahm dann keuchend Platz… Die Kellnerin brachte unaufgefordert ein großes Helles, das Bier verschwand in Aeschbachers Innerem, nur ein wenig Schaum blieb am Boden des Glases kleben…
»Noch eins…« sagte der Gemeindepräsident und keuchte.
Er tätschelte den Arm des alten Ellenberger, der Laute von sich gab, ähnlich denen eines Katers, der nicht weiß, ob er behaglich schnurren soll oder spuckend auf den Störenfried losfahren.
Aeschbacher rettete die Situation, indem er sich erkundigte, ob man nicht einen ›Zuger‹ machen wolle…
Die Kellnerin, die das zweite Bier gebracht hatte, flitzte davon, kam mit dem Jaßdeckeli zurück, breitete es aus, legte die gespitzte Kreide auf die sauber geputzte Tafel und verzog sich wieder: drei leere Biergläser nahm sie mit…
»Drei Rappen der Punkt?« schlug Aeschbacher vor.
Der alte Ellenberger schüttelte den Kopf. Die Maske des weitgereisten Herrn, der ohne Akzent französisch spricht, hatte der andern Platz gemacht. Es war der alte Bauer, der jetzt wieder am Tische saß, und es war auch der alte Bauer, der mit unangenehm krächzender Stimme sagte:
Drei Rappen sind zu wenig. Unter zehn Rappen spiel' ich nicht mit…«
Studer wurde es noch unbehaglicher. Der »Zuger« war ein verdammt gefährlicher Jaß. Wenn man Pech hatte, konnte man ohne viel Mühe fünfzehn Franken verlieren… Und fünfzehn Franken waren eine Summe!… Es ging nicht gut an, Spielverluste auf die Spesenrechnung zu setzen. Aber dann interessierte ihn wieder das Verhalten seiner beiden Partner beim Spiel so stark, daß er schließlich nickte.
Aeschbacher zog die Tafel zu sich heran, zeichnete mit der Kreide auf den oberen Holzrand drei Buchstaben: S.E.A. Dann begann er die Karten zu mischen und auszuteilen. Der alte Ellenberger hatte eine Stahlbrille aus der Rocktasche gezogen und sie auf seine Nase gesetzt…
Beim ersten Spiel konnte Studer hundertfünfzig weisen. Er atmete auf.
»Wachtmeister« sagte der Gemeindepräsident und kratzte mit dem Fingernagel in seinem Katerschnurrbart, »Ihr geht, hab' ich gehört, bald in Pension?…«
Studer sagte: »Ja.«
»So«, mit einem einzigen Griff breitete Aeschbacher die Karten fächerförmig aus, hielt sie vor die Nase und:
»Ich hätte für Sie… Ich hätte für Sie eine interessante Beschäftigung. Ein Freund von mir«, fuhr er vertraulich fort, »hat ein Auskunftsbureau aufgetan und sucht einen tüchtigen Mann, der Sprachen beherrscht, der etwas Verstand im Kopf hat, der Untersuchungen selbständig führen könnte. Eintritt so bald wie möglich. Daß man Sie von der Polizeidirektion ohne weiteres gehen läßt, dafür will ich schon sorgen. Ich habe meine Beziehungen. Einverstanden? Ich telephoniere dann morgen…«
– Studer solle sich von dem Schlangenfanger nicht einlieren lassen, meinte der alte Ellenberger. Der Schlangenfanger verspreche immer den Mond, aber wenn man näher hinsehe, sei es nicht einmal ein Weggli.
Aeschbacher blickte böse auf.
– Ellenberger solle so gut sein und die Klappe halten, es gebe sonst Durchzug, meinte er gehässig. – Dann solle der Herr Gemeindepräsident seine Vorschläge machen, wenn er mit dem Studer unter vier Augen sei. Wenn er sie so öffentlich mache, so sei es nur recht und billig, wenn auch er seine Meinung sage.
Studer
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