Wächter der Menschheit - Green, S: Wächter der Menschheit - The Man with the Golden Torc
zu den Worten ansetzte, ließ Molly einen Rattenregen auf ihn niedergehen. Sie prasselten aus dem Nichts auf ihn herab, Ströme von großen, schwarzen Ratten, die mit Zähnen und Klauen in Schwärmen über ihn herfielen. Er schrie vor Schreck und Schmerz auf, schlug nach den Ratten und versuchte sie abzuschütteln, unfähig, sich lang genug zu konzentrieren, um die Worte zu sagen, die seine schützende Rüstung hochgebracht hätten. Er taumelte hin und her und versuchte sich die Ratten mit bloßen Händen vom Körper zu reißen. Eine schlug die Zähne tief in sein Handgelenk und blieb dort hängen und trat und wand sich, während er sich vergeblich bemühte, sie abzuschütteln. Eine andere zerrte an seinem Ohr. Blut lief ihm übers Gesicht, als sie seine Kopfhaut aufrissen.
Ich hätte gern eine Weile einfach nur dagestanden und ihn leiden sehen, aber die Zeit hatte ich nicht. Also trat ich vor und versetzte ihm einen krachenden Schlag. Die Kraft hinter der goldenen Faust riss ihm fast den Kopf ab; er knallte auf den Boden, wo er schwach zuckend liegen blieb. Molly ließ die Ratten mit einer Handbewegung verschwinden. Ich stellte mich über den Seneschall und blickte auf ihn herab, und es fühlte sich gut an, so gut, mich endlich für die Jahre der Verachtung und Schmerzen gerächt zu haben. Jetzt sah er nicht mehr annähernd so groß aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Er war noch bei Bewusstsein - eben so.
»Wie viele Kinder hast du verprügelt, weil sie auf den Gängen herumgerannt sind?«, fragte ich ihn. »Wie viele hast du geschlagen, weil sie zu spät kamen oder nicht dort waren, wo sie sein sollten? Weil sie freche Antworten gaben? Weil sie es wagten, eigene Gedanken und Hoffnungen und Träume zu haben?«
Der Seneschall bewegte sich unter Schmerzen, und als er lächelte, lief ihm das Blut aus dem aufgeplatzten Mundwinkel. »Wir leben in einer erbarmungslosen Welt, Junge. Ich musste euch abhärten, damit ihr darin überleben konntet. Du hast deine Lektionen gut gelernt, Edwin. Bin stolz auf dich, Junge!«
»Wir waren bloß Kinder!«, brauste ich auf, aber er hatte das Bewusstsein verloren und konnte mich nicht mehr hören.
»Deine Familie hat eine echte Schwäche für Psychospielchen, was?«, meinte Molly.
»Nicht jetzt!«, sagte ich. »Bitte!«
Ich trat in den Sicherheitsalkoven des Seneschalls und öffnete den Kasten mit den Notalarmen. Er war so eingestellt, dass er sich für jeden öffnete, der einen Torques trug. Ich betrachtete die ganzen Schalter, die sich vor mir ausbreiteten, grinste und legte dann jeden einzelnen davon um. Innenalarme, Außenalarme, Feuer, Überschwemmung, Hexerei und Ludditen. (Ein paar unserer Alarme sind schon ziemlich alt.) Im gesamten Herrenhaus gingen Klingeln und Sirenen los, läuteten und heulten und schallten in einer fürchterlichen Kakophonie von Lärm. Lichter flammten auf und blinkten, Schutztüren schlugen zu, Stahlgitter krachten herunter und Familienmitglieder rannten hektisch hierhin und dorthin, verrückt gemacht von den kreischenden Alarmen. Ich hab ja schon immer gesagt, dass wir mehr Notfallübungen brauchen.
Ich ging mit Molly an meiner Seite dreist durch die Gänge und Korridore. Leute stürzten schreiend und gestikulierend an uns vorbei, aber keiner beachtete mich im Geringsten. Für sie war ich nur ein anderer Drood, anonym in meiner Rüstung. Und wenn Molly bei mir war, konnte es sich bei ihr nur um einen autorisierten Besucher handeln. In einem Notfall haben Menschen nur Zeit, das zu sehen, was sie zu sehen erwarten.
Ich führte Molly tiefer ins Herrenhaus hinein, und sie oohte und aahte, als sie das luxuriöse Mobiliar, die Porträts und Gemälde, die Statuen und Kunstwerke und die ganzen anderen Beutestücke, die sich meine Familie über die Jahrhunderte hinweg zugelegt hat, zu Gesicht bekam. Ich war mit all dem aufgewachsen, deshalb nahm ich es immer noch größtenteils als selbstverständlich hin und musste lächeln, wenn Molly über dieses oder jenes seltene Stück in Begeisterung und Verzückung geriet. Von ein paar Sachen, die sie sich näher ansehen wollte, musste ich sie sogar wegziehen. Wir mussten weiter; die Zeit war nicht auf unserer Seite. Molly zog eine widerspenstige Schnute, aber sie verstand.
»Betrachte mich als schwer beeindruckt!«, sagte sie. »Ich habe ja schon Geschichten über diesen Ort gehört, aber ... ich hatte ja keine Ahnung! Hier gibt es Dinge, die man nicht mal in Museen findet! Gemälde bedeutender Künstler, die
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